Informationskompetenz der Deutschen Planlos im digitalen Dschungel

Viele Deutsche sind mit der Beurteilung von Informationen im digitalen Raum überfordert, konstatieren die Studienleiter. Foto: PantherMedia / Aleksandar Stojanov/Aleksandar Stojanov

Irgendwo auf dem Weg in die digitale Medienwelt ging etwas Entscheidendes verloren: der kompetente Umgang damit. Das hat nun eine Studie ergeben.

Kultur: Kathrin Waldow (kaw)

Erkennen Nutzer digitaler Informationsangebote Fake News? Können sie zwischen Journalismus und Werbung unterscheiden? Und was ist aus den sogenannten Digital Natives geworden? Das sind Fragen, die Anna-Katharina Meßmer, Alexander Sängerlaub und Leonie Schulz rund 4200 Nutzerinnen und Nutzern digitaler Informationsquellen gestellt haben. Die Antworten finden sich in ihrer repräsentativen Studie zur Informationskompetenz der Deutschen unter dem Titel „Quelle Internet?“, die kürzlich mit dem Hans-Bausch-Mediapreis des SWR ausgezeichnet wurde.

 

Das Fazit: Im Umgang mit Informationen gibt es mehr Unwissenheit und Unsicherheit als Kompetenz. Nicht nur Nutzerinnen und Nutzer haben hier ein Defizit, auch Bildungseinrichtungen, Medienhäuser, Journalistinnen und Journalisten sind für diese Inkompetenz mitverantwortlich. Die Soziologin Meßmer, der Informationsexperte Sängerlaub und die Datenanalystin Schulz haben für ihre Studie einen eigenen Online-Test entwickelt, mit dessen Hilfe sie unterschiedliche Bereiche im digitalen Mediendschungel genauer untersucht haben.

Eines der aussagekräftigsten Ergebnisse: 56 Prozent der Befragten hielten ein Advertorial – trotz Werbekennzeichnung– fälschlicherweise für eine Information. 23 Prozent haben erkannt, dass es sich um Werbung handelt. Werbeanzeigen in digitalen Medien oder auf Social-Media-Plattformen wurden also von mehr als der Hälfte der Befragten für seriöse Nachrichten gehalten.

Ein weiteres beispielhaftes Ergebnis betrifft das Unterscheiden journalistischer Darstellungsformen: Abgebildet war im Test eine Nachrichtenseite mit der Überschrift: „Wir ham’s ja“ mit dem Zusatz „eine Kolumne von (...)“. Rund ein Drittel der Teilnehmer hielt den Kommentar für eine tatsachenorientierte Berichterstattung, rund 15 Prozent waren sich nicht sicher. Nur die Hälfte der Nutzerinnen und Nutzer wusste, dass es sich dabei um die Meinung eines Autors handelte. Immerhin rund 60 Prozent konnten die Vertrauenswürdigkeit einer Quelle richtig einschätzen. Mangelhafte Einschätzung herrscht beim Zusammenspiel von Politik und Medien: So glauben viele der Befragten, dass die Medien und der öffentlich-rechtliche Rundfunk durch Politik stark beeinflusst sind, etwa 24 Prozent gaben an, zu glauben, dass sie systematisch belogen würden, 22 Prozent entschieden sich für „teils, teils“.

Was ist Werbung, was tatsachenorientierter Bericht?

Eine weitere Erkenntnis der Studie ist der Zusammenhang von Alter und Bildung bei der Informationskompetenz: Jüngere Menschen sind kompetenter im Umgang mit digitalen Nachrichten als Ältere, das allein ist keine Überraschung, doch spielt der Bildungsgrad eine entscheidende Rolle. Besonders nachrichtenkompetent sind demzufolge Hochgebildete zwischen 18 und 39 Jahren, besonders inkompetent Menschen unter 40 mit niedriger Schulbildung.

Das bedeutet auch: Die sogenannten Digital Natives sind nicht per se firm im Umgang mit digitalen Informationen, wie lange behauptet wurde. „Der Begriff Digital Natives ist irreführend, weil er suggeriert, dass alle, die im digitalen Zeitalter aufwachsen, gut mit digitalen Medien umgehen können. Das mag im technischen Bedienen stimmen, aber leider nicht, wenn es darum geht, richtige von falschen Inhalten zu unterscheiden“, sagt Alexander Sängerlaub.

Die Bildung spielt eine zentrale Rolle

Für alle Altersgruppen haben die Experten festgestellt: Je höher die Schulbildung, desto höher die Informationskompetenz und desto höher auch das Vertrauen in Journalismus und Politik. „Es ist notwendig, dass wir in einer Demokratie gut informierte Bürgerinnen und Bürger haben, die gute Informationen auffinden und von Desinformation unterscheiden können. Sonst passieren seltsame Dinge. Da gibt es in den USA genug Beispiele, etwa dass Trump nicht decodiert wurde von dem einen oder anderen, der dann etwa nicht verstanden hat, dass es in der Coronapandemie keine gute Idee ist, Bleichmittel zu trinken. „Wenn Menschen solche Desinformationen glauben, kann das zu Schäden führen, wenn nicht gar zum Tod“, so Sängerlaub. Meßmer ergänzt: „Es sind zwei Elemente, die man im Blick haben muss: Das eine ist eine gesellschaftliche Dimension, also Polarisierung in der Gesellschaft, das haben wir bei Corona erlebt. Es gibt aber auch die individuelle Dimension, die etwa gesundheitliche Risiken bergen kann.“

Warum ist das alles von Bedeutung?

Die Gründe für den Mangel an Informationskompetenz sehen die Studienleiter in einem Überangebot an Informationsmöglichkeiten im Digitalen, die der technologische Wandel mit sich brachte, aber auch darin, dass der Wandel nicht verstanden wurde. „Journalismus will überall stattfinden, ohne das Bedürfnis der Menschen nach Nachrichten aufgrund dieses Wandels kompetent abzudecken. Unsere Studie hat gezeigt, dass es den Leuten schwerfällt, bei dieser Flut abzuwägen, was zuverlässig und belastbar ist – kombiniert mit einem gewissen Misstrauen Journalisten gegenüber, ist das eine schwierige Gemengelage.

Welche Auswege gibt es?

Der Journalismus hat vergessen, vor Ort präsent zu sein und journalistisches Arbeiten zu erklären, transparent zu machen, damit es für die Leute nachvollziehbar wird, warum eine Tageszeitung belastbarer ist als irgendein Youtube-Video.“ Sängerlaub und Meßmer werfen Bildungseinrichtungen und Politik eine systematische Vernachlässigung digitaler Kompetenzen vor, vor allem an Haupt- und Realschulen, es bestehe dringender Handlungsbedarf. Es reiche nicht aus, nur PC-Kenntnisse zu vermitteln. Sie verweisen auf Projekte wie die der Organisation „Journalismus macht Schule“, die Lehrerinnen und Lehrer in ihre Klasse einladen könnten. Für Erwachsene schlagen die Experten vor, Informationskompetenz über berufliche Weiterbildungsangebote zu stärken.

Hintergründe zur Studie

Umfrage
Für die Studie wurde stichprobenartig ein Teil der deutschsprachigen Bevölkerung mit Internetzugang ab 18 Jahren mittels Online-Interviews untersucht, insgesamt nahmen rund 4194 Personen teil. Zur ganzen Studie geht’s hier oder über die Stiftung Neue Verantwortung.

Auftraggeber
Meßmer, Sängerlaub und Schulz haben die Studie für die Stiftung Neue Verantwortung geführt, eine Einrichtung, die sich mit Fragen zu Zukunft von Politik und Gesellschaft beschäftigt und von verschiedenen öffentlichen Einrichtungen, Ländern, Unternehmen und anderen Stiftungen gefördert wird.

Selbsttest
Wollen Sie herausfinden, wie gut Sie selbst darin sind, News und Fake News zu unterscheiden? Hier geht es zum Test: www.der-newstest.de

Weitere Themen

Weitere Artikel zu Information Studie Digital Nachrichten