Der Insolvenzverwalter von EN Storage versucht, bei Anlegern Zinsen einzutreiben, die vor Jahren auf die Wertpapiere der Skandalfirma ausgezahlt wurden. Dies mit Bedauern, wie er selbst sagt.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Herrenberg - Die Adressatin ist betagt, aber als Unternehmerin hat sie im Verlauf ihres Berufslebens ansehnliche Beträge auf ihr Konto gewirtschaftet. Zumindest einer ihrer Versuche, dieses Geld zu mehren, schlug allerdings gründlich fehl. Die Frau hatte Wertpapiere der einst in Herrenberg ansässigen Skandalfirma EN Storage gekauft. Gegen deren zwei Ex-Geschäftsführer verhandelt derzeit das Stuttgarter Landgericht wegen Betrugsverdachts. Fest steht: Das Unternehmen unterhielt ein Schneeballsystem. Anleger hatten mehr als 90 Millionen Euro investiert. Davon sind etwa so viel übrig, wie die betagte Dame allein überweisen soll: fast eine halbe Million Euro, zahlbar bis 31. Juli auf das Geschäftskonto von Holger Leichtle. Die Frau, die ohnehin schon um ihr Geld gebracht wurde, soll nochmals zahlen.

 

Leichtle ist zum Insolvenzverwalter über die EN Storage bestellt. Wenige Tage, nachdem die Staatsanwaltschaft im Februar des vergangenen Jahres die Firmenräume hatte durchsuchen lassen, war das Unternehmen pleite. So gut wie alle Versuche des Insolvenzverwalters, bei Geschäftspartnern Geld einzutreiben oder Firmenvermögen zu versilbern, blieben erfolglos – mangels Masse. Jüngst brachte immerhin ein Immobilienverkauf eine nennenswerte Summe. Der Geschäftsführer Lutz Beier hatte sich ein Grundstück in Berlin geleistet. Ansonsten endet die Spur des Geldes meist in einem Balkanland und dort im Nirgendwo.

Die betagte Dame soll nicht als einzige Geprellte zahlen

Die betagte Dame ist nicht die einzige Geprellte, die Leichtle mit dem Betreff „Insolvenzanfechtung“ angeschrieben hat. Alle Adressaten sollen die Zinsen zurückzahlen, die sie auf ihre Wertpapiere bekommen hatten, bevor das Schneeballsystem zusammenbrach. Dies sei ihre gesetzliche Pflicht, teilte Leichtle mit Verweis auf das Insolvenzrecht mit. Überwiesen hat bisher noch keiner von ihnen. Dabei dürfte es bleiben. Der Insolvenzverwalter selbst glaubt, dass Geld erst nach jahrelangen Gerichtsverfahren fließen wird, wenn überhaupt.

„Den Einzelnen trifft das hart“, sagt Leichtle, „mir würde das auch nicht gefallen, und mir tut es auch leid“. Die Forderung fuße nicht auf Böswilligkeit, sondern auf seiner Berufspflicht. Bevor er die Briefe verschicken ließ, hatte Leichtle ein Rechtsgutachten zu höchstrichterlichen Urteilen über Schneeballsysteme in Auftrag gegeben. Das Ergebnis sei eindeutig gewesen: „Ich bin verpflichtet, das Geld zurückzuholen“, sagt Leichtle, „täte ich es nicht, könnten mich Anleger haftbar machen“.

Das Verfahren soll einen gerechten Ausgleich unter den Anlegern schaffen

Gemeint sind diejenigen, die erst kurz vor der Pleite ihr Geld der EN Storage anvertrauten. Wer früh investierte, hatte bei Zinsen von bis zu zehn Prozent im Laufe der Jahre zumindest einen erklecklichen Anteil seines Einsatzes zurückbekommen. Wer hingegen kurz vor dem Zusammenbruch des Unternehmens noch Wertpapiere kaufte, dessen Geld ist vollständig verloren. Vereinfacht formuliert soll zwischen den Investoren des ersten und des letzten Tages ein gerechter Ausgleich geschaffen werden. Was nicht jeder so empfinden dürfte: Unter dem Strich müssten Anleger aus der Anfangszeit nach Leichtles Schätzung auf etwa vier Fünftel ihrer Zinserträge verzichten. Ungeachtet dessen hat der Gläubigerausschuss – die Versammlung der EN-Storage-Geschädigten – dem Verfahren zugestimmt.

In mehreren Gerichtsprozessen hatte der Bundesgerichtshof (BGH) geurteilt, dass Zahlungen aus Schneeballsystemen im Sinne von Schenkungen zu bewerten seien. Sie kann der Insolvenzverwalter eintreiben. Leichtle rechnet daher damit, dass erst die letzte Instanz, eben der BGH, über die Rechtmäßigkeit seiner Forderung entscheiden wird. Er will in Musterverfahren gegen eine Handvoll Anleger klagen. „Wir versuchen, das mit den Anwälten der Gegenseite friedlich und für die Betroffenen sozial verträglich zu regeln“, sagt Leichtle. Weshalb die betagte Dame sein Schreiben wohl wird wegwerfen können. Ihr Anwalt hat wissen lassen, sie sei erkrankt. „Da liegt eine persönliche Härte vor“, sagt Leichtle, „wahrscheinlich tauschen wir den Fall aus“.