In Indien gibt es Widerstände gegen Dow Chemical, einen Sponsor des IOC. Der Chemiegigant verursachte eine der größten Tragödien des Landes.  

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Lausanne - In Lausanne versteht man die ganze Aufregung nicht so richtig. Was, um Himmels willen, ist denn so schlimm an der Firma Dow Chemical? Zumindest liest sich so die jüngste Stellungnahme aus der Konzernzentrale des Internationalen Olympischen Komitees. Dort heißt es unter anderem: "Dow Chemical ist ein Weltmarktführer in seinem Bereich und bekennt sich zu verantwortlichem Handeln."

 

Das sehen viele anders. Vor allem in Indien. Dort gibt es aktuell Proteste gegen die "offizielle Chemiefirma der olympischen Bewegung", wie es im schaurig-schönsten Sponsorendeutsch heißt. Vor einigen Tagen hat das Nationale Olympische Komitee Indiens sogar eine offizielle Protestnote versandt und das IOC aufgefordert, sich von dem Chemiegiganten wieder zu trennen und dessen Logo aus dem Umfeld der Spiele in London 2012 zu verbannen - was das IOC natürlich nicht tun wird.

Eine Beleidigung von Millionen Menschen

Der US-amerikanische Konzern wird in Indien mit einer der größten Tragödien des Landes in Verbindung gebracht: der Katastrophe von Bhopal. Am 3. Dezember 1984 gelangten in dem dortigen Chemiewerk aufgrund technischer Pannen mehrere Tonnen giftiger Stoffe in die Umwelt. Schätzungen zufolge starben bis zu 25.000 Menschen, weitere 500.000 wurden verletzt und leiden noch immer unter den Folgen. Es ist bis heute die schlimmste Chemiekatastrophe der Geschichte.

In dem Schreiben an das IOC heißt es, dass es eine Beleidigung von Millionen Menschen sei, dass ausgerechnet dieser Konzern die Spiele in London mitfinanzieren würde. Selbst von einem Boykott war - kurzzeitig - die Rede. 2001 hatte Dow Chemical die Firma Union Carbide erworben, die für den Unfall verantwortlich ist. Dem US-Konzern Dow mit einem Jahresumsatz von 54 Milliarden Dollar wird vorgeworfen, dass er seiner Verantwortung nicht nachkomme und weder die Opfer ausreichend entschädige noch das verseuchte Gelände entgifte.

Beim IOC zieht man sich auf die Position zurück, dass Dow zum Zeitpunkt des Unglücks mit der Fabrik in Bhopal nichts zu tun gehabt habe und außerdem schon seit Langem das IOC unterstütze. Der Konzern hat 2010 einen neuen Kontrakt mit dem IOC unterzeichnet und lässt sich sein Engagement 100 Millionen Dollar kosten.

Geld kennt keine Moral

Das Geschäft löste damals schon Turbulenzen aus. Dow Chemical ist eines der umstrittensten Unternehmen. Es hat das im Vietnamkrieg eingesetzte Entlaubungsmittel Agent Orange hergestellt, ebenso das damals als Brandwaffe verwendete Napalm. Auf dem "Toxic 100 Index", einer Liste der weltweit größten Umweltverschmutzer, belegte der Riese im vergangenen Jahr Platz 15 - was eine Steigerung ist: 2008 war man dort noch Dritter.

2005 bekam der Chemiegigant den Schweizer "Public Eye Award" verliehen: Mit der Auszeichnung werden laut der Jury Konzerne bedacht, die sich "besonders verantwortungslos gegenüber Menschen verhalten und gegen die unternehmerische Gesellschaftsverantwortung verstoßen". Jene Werte, von denen das IOC spricht; das IOC selbst war übrigens auch schon nominiert. Dabei verkauft sich das IOC gerne als das gute Gewissen der Welt, als Metronom in einer kaputten Gesellschaft. Der milliardenschwere Sportkonzern preist die Werte des Sports, Fairplay, Moral, Ethik.

So sieht sich das IOC selbst - als Institution, welche die Fackel der Moral emporreckt. Aber die Fackel brennt auch dank Napalm. Und Geld kennt keine Moral - das, so scheint es, ist auch einer der Eckpfeiler der olympischen Bewegung. Denn das IOC verkauft mit den Werberechten an den fünf Ringen auch die vermeintliche Integrität an Firmen. Ein Konzern wie Dow wirkt da eher wie Giftgas für die Werte des Sports. Indiens Sportminister Ajay Maken kann derweil nach eigener Aussage einen kleinen Erfolg verbuchen. "Dow hat zugestimmt, das Logo am Olympiastadion zu entfernen. Mal sehen, wie es weitergeht."