Ulrich Deppendorf im StZ-Interview von der ARD fordert mehr Tiefe und weniger Oberflächlichkeit in der Berichterstattung über Politik.
03.02.2013 - 09:23 Uhr
Stuttgart Berlin-Mitte ist eine politisch-journalistische Käseglocke, sagt Ulrich Deppendorf. Der Leiter des ARD-Hauptstadtstudios sprach mit uns über die Talkshow-Inflation, die kritische Nähe von Politikern und Journalisten sowie kleine Fluchten per Linienbus.
Herr Deppendorf, wie war das Spanferkel heute im Borchardt?
Keine Ahnung. Da gehe ich ein oder zwei Mal im Jahr hin.
Aber das ist doch angeblich der Treffpunkt für Politiker und Journalisten, wenn es um informellen Austausch geht.
Wenn ich meine Gespräche führe, dann führe ich sie nicht in Berlin-Mitte. Es gibt auch anderswo gute Lokale, in denen man sich treffen kann. Dort gehen viele Politiker hin, wenn sie sich mal unbeobachtet fühlen wollen. Im Übrigen bevorzuge ich fürs Mittagessen die Kantine des Bundestags.
In Berlin leben viele Politiker und Medienvertreter auf engstem Raum zusammen. Der Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt sagt über das Verhältnis von Journalisten und Politikern: „Wenn man genau hinschaut, dann sieht man, dass die politischen Journalisten eigentlich mehr zur politischen Klasse gehören und weniger zum Journalismus.“ Ist der Hauptstadtjournalismus abgehoben?
Da steckt schon etwas Wahres drin. Ich nenne das Gebiet zwischen Reichstag und Gendarmenmarkt auch das exterritoriale Berlin. Das ist wie eine Käseglocke, unter der man im ständigen Kontakt mit den Ministern oder der Kanzlerin ist: Wir fliegen auch öfter mal mit denen mit und werden rundum in Watte gepackt – betreutes Reisen auf höchstem Niveau. Wir müssen schon aufpassen, dass wir nicht abheben.
Was tun Sie dagegen?
Man kann der Gefahr begegnen, indem man ab und zu rauskommt aus dem Dunstkreis der Wichtigen, der Politgrößen. Deshalb fahre ich öfter auch mit dem Bus. Der Busfahrer schaut dann schon mal komisch und fragt: „Wat, Sie fahr’n Bus?“ – „Ja“, sag ich dann, „zweimal Kurzstrecke“. Dann leg ich den passenden Betrag hin: „Sie wissen sogar, wat dit kostet...“ – „Ja“, sage ich, „ich fahr öfter.“ Wichtig ist auch der Ehepartner, der einen wieder auf die Erde holt, wenn es sein muss. Ich gehe lieber mit meiner Frau ins Kino als zu irgendwelchen Society-Events. Und mein Freundeskreis, der mit Journalismus und der politischen Klasse weniger zu tun hat, hilft mir auch.
Nicht jedem gelingt es, Distanz zu halten. Martin Bialecki, der Leiter der Berliner Politikredaktion bei dpa, behauptet, die enge Verbindung von Journalismus und Politik sei äußerst gefährlich, weil sie „schlampige Gesetzentwürfe“ einerseits und „schlechten Journalismus“ andererseits zur Folge habe. Und die ehemalige Chefredakteurin der taz, Bascha Mika, meint sogar, dieses Verhältnis sei tödlich für kritischen Journalismus.
Alle Kollegen sind nah dran an der politischen Klasse, denn sie wollen Informationen. Alle, die Sie zitieren, habe ich auch schon mal auf Empfängen oder bei Hintergrundgesprächen gesehen. Aber gleichzeitig weiß die andere Seite auch, dass sie kritisch beobachtet wird.
Wer regiert eigentlich wen? Der ehemalige Bundesfinanzminister Hans Eichel meint: Wer nicht in den Medien ist, macht keine Politik. Das spricht doch für ein großes Gewicht der Medien.
Das ist sicherlich richtig. Ein Auftritt in der 20-Uhr-Tagesschau, ein langes Interview in bestimmten Sendungen oder jahrelange Auftritte in Talkshows bewirken, dass man überhaupt erst wahrgenommen wird . . .