Platon glaubte nicht an die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie – Luther schon, sagt die Kulturwissenschaftlerin Barbara Vinken im Interview mit Sören Stange. Vinkens Fazit: Wissenschaftler und Kinder – das könnte zusammenpassen.

Stuttgart - Platon glaubte nicht an die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie – Luther schon, sagt die Kulturwissenschaftlerin Barbara Vinken im Interview mit Sören Stange.

 

Frau Vinken, vom jungen Charles Darwin ist ein Notizblatt überliefert, auf dem er abwägt, ob er eine Familie gründen soll. Waren Wissenschaft und Familie jemals miteinander vereinbar?
Das berühmteste Beispiel für diesen Konflikt sind Abélard und Héloïse. Héloïse ist schwanger, von dem Philosophen Abélard, und die Familie von Héloïse will unbedingt, dass Abélard Héloïse heiratet. Abélard verspricht es, aber dann schreibt Héloïse ein flammendes Pamphlet gegen die Ehe. Sie erinnert an das Bild des antiken Philosophen, dessen Kinder geistig sind. Schon bei Platon gibt es ja die Vorstellung, dass die Kinder, die unsterblich bleiben, nicht die Kinder im Fleische sind, sondern die geistigen Kinder. In ihrem Plädoyer gegen die Ehe sagt Héloïse zudem, dass man sich mit Kindern nicht konzentrieren kann. Immer Geschrei, Gestank und der Zwang, Geld zu verdienen. Die Beschwerlichkeit der Kindererziehung scheint ihr mit der geistigen Arbeit unvereinbar.

Und diese Vorstellung wurde dann auf das Bild des modernen Wissenschaftlers übertragen?
Ja, weil sich die Wissenschaftler in diesem Philosophenbild wiedererkannten. Es gab natürlich auch eine starke Gegenbewegung: die Reformation mit Luther. Der sah in der platonischen Vorstellung eine faule Ausrede. Die Leute seien nicht dazu gemacht, keusch zu sein. Und die Seelen der Kinder zu Gott zu bringen ist praktisch die Sühne für das Rasen der Lust. Evangelische Pfarrer hatten ja immer sehr viele Kinder. Auch diese Tradition ist an der deutschen Uni sehr stark. Es gibt dort also zwei sehr verschiedene Vorstellungen.