Die Kriegsheimkehrer gehören zu den Verlorenen nach dem Zweiten Weltkrieg. Der ARD-Film „Hannas Entscheidung“ zeigt exemplarisch ein Schicksal.

Stuttgart - In seinem neuen Film spielt Edgar Selge neben Christine Neubauer den Kriegsversehrten Karl Forster, der sieben Jahre in sowjetischen Arbeitslagern eingesperrt war, und anschließend nicht mehr in sein altes Leben zurückfindet.

 

Herr Selge, war es für Sie als Nachgeborenen schwierig, in diese Rolle hineinzufinden?
Ich hatte großes Interesse an dieser Figur. Diese Kriegsheimkehrer waren ja eine Generation von Menschen, die gewusst haben, dass sich für ihre Leiden nie jemand wirklich interessieren wird. Soldaten wie Karl Forster war klar, dass sie ausnahmslos in die Nähe von Kriegsverbrechern gerückt würden, dass sie verantwortlich gemacht würden für den millionenfachen Mord an Juden und Russen. Und so ist ja auch mit ihnen umgegangen worden, vor allem in den sechziger und siebziger Jahren und auch von mir selbst. Dass man genauer hinschaut, was Menschen, die sich ja nicht alle freiwillig gemeldet hatten, eigentlich erfahren haben, und wie sehr sie verdrängen mussten, um überhaupt überleben zu können, fand ich eine wichtige Aufgabe.

Wie haben Sie sich inhaltlich vorbereitet?
Ich habe das Tagebuch eines Gefreiten gelesen, der seine Erfahrungen in Stalingrad jeden Tag aufzeichnete. Das hat mich während der Drehzeit sehr inspiriert. Ich habe auch mit einem Psychiater gesprochen, der in Amerika mit Vietnam-Heimkehrern gearbeitet hat, um ihnen die Rückkehr in die Normalität zu erleichtern. Er hat das Drehbuch zu „Hannas Entscheidung“ gelesen, und mir bestätigt, dass es sehr gut recherchiert und geschrieben ist. Dass sie den schrecklichen Bildern nicht entkommen können, trifft wohl auf alle Soldaten zu, die an der Front gewesen sind. Diese Erkenntnis finde ich nach wie vor wichtig, zum Beispiel in Bezug auf diejenigen, die aus Afghanistan zurückkehren. Sie kommen in eine satte Gesellschaft, die wenig Fantasie aufbringt, sich vorzustellen, wie ein Krieg die Mentalität von Menschen beschädigt.

Hatten Sie persönliche Erfahrungen aus der Nachkriegszeit, an die Sie beim Spielen an-knüpfen konnten?
Den Druck, den die Kriegsheimkehrer hatten, um Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit in ihrem Alltag zurückzugewinnen, habe ich in meiner Kindheit immer mitgekriegt. In der Erinnerung an die Stimme meines Vaters kann ich diesen Druck bis heute spüren. Vor allem später, in den siebziger Jahren, zeigte er sich als extreme Reizbarkeit und Wut, wenn diese Menschen vor ihren Kindern begründen mussten, warum sie überhaupt am Krieg teilgenommen hatten. Die Nerven lagen da sehr schnell blank. Karl zum Beispiel verprügelt im Film ja seine Frau Hanna, der er sich mit seinem kaputten Arm, seiner Impotenz und seinen Albträumen nicht mehr gewachsen fühlt. Ich hoffe, dass man in der Brutalität meiner Darstellung auch seine Hilflosigkeit erkennen kann.

„Hannas Entscheidung“ handelt ja auch von der Verschiebung der Geschlechterrollen in der Kriegszeit und nach Kriegsende.
Ja, meine Mutter hat das häufig so erzählt, dass viele Frauen durchaus aufgeschaut hatten zu den „starken“ Männern, die teilweise mit leuchtenden Augen in den Krieg gezogen waren, und dass sie nicht damit zurecht gekommen sind, als dann völlig zerstörte, hilfsbedürftige, klapprige Gestalten zurückkamen.

Karl kommt vor allem nicht damit zurecht, dass Hanna während seiner Abwesenheit die Schreinerwerkstatt leitete, er kann sie nicht als gleichberechtigt anerkennen, sondern will sie in ihre Schranken zurückweisen.
So ein Verhalten ist mir durchaus auch aus meiner eigenen Erfahrung, auch meiner Frau gegenüber, bekannt, dass ich mir Dinge gerade bezüglich des Zusammenlebens vornehme, die mir rational total einleuchten, denen man aber nicht immer standhält. Karl ist geradezu gespalten, er sieht sein Verhalten als hirnrissig, benimmt sich aber, wenn er seinen Stolz verletzt sieht, geradezu animalisch. Eigentlich bräuchte er ärztliche Hilfe.

Ist es für die Generation der Enkel, zu denen ja der Drehbuchautor Benedikt Röskau zählt, leichter, diesen Teil der deutschen Vergangenheit von einem anderen Blickwinkel aus zu beleuchten als es die Generation der 68er getan hat?
In jedem Fall. Wer sich aus der jüngeren Generation überhaupt für Geschichte interessiert, hat sicher ein komplexeres Bild von seinen Großeltern, als die Söhne und Töchter von ihren Eltern gehabt hat.

Und was erzählt „Hannas Entscheidung“ fast siebzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs?
Erst mal, dass nichts selbstverständlich ist. Dass unser luxuriöses Leben hier aus tiefster Armut und Zerstörung gekommen ist, Zerstörung, die von den Deutschen ausgegangen war. Es ist wichtig, sich das vor Augen zu halten, denn es ist ja kein zeitloser Zustand, in dem wir uns gesellschaftlich befinden, sondern ein gewachsener. Wenn wir uns nicht bewusst sind, wo wir herkommen, werden uns ganz schnell Erinnerungen von anderen Seiten vorgehalten.
Das Gespräch führte Ulrike Frenkel. Sendetermin: ARD, Freitag, 20.15