Mindestlöhne galten in der FDP lange als Teufelszeug. Parteichef Rösler will das nun beim Parteitag am Wochenende ändern. Doch sein Vize Holger Zastrow stellt sich quer – und hofft auf eine Mehrheit gegen Rösler.

Stuttgart Am Wochenende stimmt die FDP in Nürnberg über branchenspezifische Mindestlöhne ab. Der Vizeparteichef Zastrow kündigt seinen offenen Widerstand an und hofft auf eine Mehrheit gegen Rösler und Spitzenkandidat Rainer Brüderle. Zastrow hält die Pläne für ein “Arbeitsplatzvernichtungsprogramm“.
Herr Zastrow, Parteichef Philipp Rösler will die FDP der Lebenswirklichkeit der Menschen annähern und deshalb Lohnuntergrenzen, also Mindestlöhne, einführen. Nutzt das der FDP?
Wir werden doch als FDP gewählt, weil wir eben eine Minute länger nachdenken als andere Parteien. Wir stehen für wirtschaftspolitischen Sachverstand, und deshalb müssen wir uns auch mit den negativen Effekten auseinandersetzen, die Mindestlohn-Modelle haben. Auch die FDP hat kein Modell gefunden, mit der diese negativen Folgen verhindert werden könnten. Deshalb werde ich auf dem Parteitag in Nürnberg dafür kämpfen, dass die FDP Mindestlöhne weiter ablehnt.

Rösler und Spitzenkandidat Rainer Brüderle argumentieren, der FDP-Mindestlohn sei gar kein klassischer Mindestlohn, weil er branchenspezifisch, regional und von den Tarifpartnern ausgehandelt werden soll. Warum überzeugt Sie das nicht?
Weil das eine Sichtweise ist, die den Praxistest nicht besteht. Was zum Beispiel wird da unter Region verstanden? Es gibt doch nicht nur Unterschiede zwischen München und Dresden, sondern auch zwischen Dresden und dem Erzgebirge. In Westdeutschland würde der Mindestlohn wohl ohne nennenswerte praktische Auswirkungen bleiben, weil dort in der Regel mehr bezahlt wird. Aber im Osten gibt es große Regionen, in denen es örtlich akzeptierte Löhne gibt, die unter acht Euro fünfzig liegen. Wenn ich da gesetzlich mit einem höheren Mindestlohn einschreite, dann wäre dies das Aus für viele Branchen. Wir dürfen als FDP kein Arbeitsplatz-Vernichtungsprogramm für Ostdeutschland beschließen. Der Staat darf nicht politisch die Löhne festlegen. Das ist zu DDR-Zeiten schon einmal schief gegangen.

Rösler und Brüderle wollen doch die Löhne gar nicht politisch festlegen?
Wir haben in Ostdeutschland in weiten Teilen der Wirtschaft gar keine Tarifpartner. Die Gewerkschaften haben in Ostdeutschland eine begründet geringe Bedeutung, weil deren Politik an der Lebenswirklichkeit vieler Menschen hier vorbei geht. Auch viele Unternehmen sind nicht in Verbänden organisiert. Wenn aber vor Ort keine Tarifpartner verhandeln können, dann müsste ersatzweise der Staat einspringen. Das wäre in Ostdeutschland nicht die Ausnahme, sondern der Regelfall. Das liefe letztlich auf einen politisch festgelegten Mindestlohn hinaus. Das darf man nicht verschweigen.

Können Sie sich ein Modell vorstellen, dem Sie zustimmen könnten?
Die Mindestlohndebatte wirft ein Schlaglicht auf ein Problem, nämlich die Zahlung sittenwidriger Löhne von weniger als 30 Prozent des niedrigsten Tariflohns in einer Branche. Manche Unternehmen bauen ihr Geschäftsmodell dauerhaft auf der Ausbeutung von Mitarbeitern auf. Die setzen darauf, dass sich die Arbeitnehmer aus Angst um ihren Arbeitsplatz nicht wehren, und da müssen wir etwas dagegen tun. Die sächsische FDP schlägt vor, dass die Arbeitsagenturen, die regional bestens verankert sind, Ombudsstellen einrichten, an die sich betroffene Arbeitnehmer wenden können. Die Arbeitsagenturen könnten die Betroffenen beraten und schwarze Schafe bei den Unternehmen identifizieren.

Warum müssten die Unternehmen das fürchten?
Sie müssen befürchten, dass die Arbeitnehmer sich dann nach entsprechender Beratung durch die Arbeitsagenturen wehren und das Unternehmen am Pranger steht.

Wie schätzen Sie die Stimmung in der Partei beim Mindestlohn ein? Haben Sie mit Ihrer ablehnenden Haltung eine Chance?
Natürlich. Wir sind keine Stimmungspartei, sondern Überzeugungstäter. Die einfache, aber untaugliche Lösung Mindestlohn, die so viele in diesem Land derzeit präsentieren, dürfen wir uns nicht auch noch zu eigen machen. Wir haben in den vergangenen Jahren ohnehin zu viele Positionen zu hastig geräumt. Ich nenne nur das Stichwort Energiewende. Die Partei hat davon genug. Irgendwann reicht es auch mal.

Soll die FDP im Wahlkampf wieder das Thema Steuersenkungen offensiv aufrufen?
In der Tat: Wir müssen weiter energisch für eine Entlastung der Mitte der Gesellschaft kämpfen. Da haben wir zu wenig geliefert, auch deshalb, weil die Union ein schwieriger Koalitionspartner war und die Eurokrise andere Prioritäten erzwang. Wenn Schwarz-Gelb weiter regiert, wovon ich ausgehe, stellt sich die Frage Entlastung deshalb neu.

Ist Ihnen die FDP in er Steuerpolitik also zu defensiv?
Wir müssen als FDP klar stellen, dass wir weiter für ein einfaches, niedriges und gerechtes Steuersystem kämpfen werden. Wir sind da viel zu defensiv, gerade vor dem Hintergrund, dass die Wähler derzeit von Steuererhöhungsparteien regelrecht umzingelt werden. Wenn wir nicht für eine Entlastung der berufstätigen Mitte eintreten, dann tut es keiner. Wir können schon auf dem Parteitag unter Beweis stellen, dass wir der Schutzpatron der Steuerzahler sind. Die Forderung einer stufenweisen Abschaffung des Solidarzuschlags könnte ein gutes Signal sein. Der Bundesfinanzminister hat die Minderung der kalten Progression, die der Bundesrat blockiert, ja bereits im Haushalt berücksichtigt – mit diesen sechs Milliarden Euro könnte man den Soli für kleine und mittlere Einkommen abschaffen. Das könnte die links-grüne Mehrheit im Bundesrat dann nicht blockieren.