Der Feuerwehrchef Andreas Thoß erklärt, dass sich bei dem Chlorgas-Einsatz im Campusbad Salzsäure hätte bilden und durch den Wind verbreiten können. Daher die großräumige Sperrung.

Ludwigsburg – Die Sperrung von Teilen der Innenstadt am Dienstag hatte einen guten Grund: Wären große Mengen Chlorgas aus der 65-Kilo-Flasche an die Luft gekommen, hätte sich ätzende Salzsäure gebildet. Für die Feuerwehr, DRK und Malteser war es ein Großeinsatz, bei dem die Katastrophen-Infrastruktur schnell funktioniert hat, wie der Einsatzleiter und Kommandant berichtet.
Herr Thoß, wie real war die Gefahr durch das Chlorgas, das aus einer Flasche im Campusbad ausgetreten ist?
Die Gefahr war relativ groß. Das Ventil der Flasche war defekt, sie ließ sich nicht mehr verschließen. Wenn Chlorgas sich mit Wasser verbindet, auch wenn es nur Luftfeuchtigkeit ist, entsteht ätzende Salzsäure. Das ist einer der gefährlichsten Stoffe, wie wir kennen. In einer 65-Kilo-Flasche befindet sich sehr viel Gas. Durch den Wind hätte sich die Säure schnell verbreitet.
Haben Sie Rat von Experten eingeholt?
Wir arbeiten seit vielen Jahren mit Harald Fischer vom Lörcher-Institut in Ludwigsburg zusammen, er ist Fachberater für Gefahrgut. Er hat analysiert, wie sich das Chlorgas außerhalb des Campusbades möglicherweise ausbreiten würde. Dementsprechend haben wir zwei Sicherheitsradien gezogen. Deswegen wurde der Bereich von 300 Metern um das Gebäude abgesperrt und Häuser wurden evakuiert.
Wie sind Sie genau am Dienstag im Ludwigsburger Schulviertel vorgegangen, um die Situation zu entschärfen?
Die Chlorgasflasche musste erst im Technikraum des Bades ausgebaut und nach außen transportiert werden. Wir mussten dabei sehr langsam vorgehen, jede Erschütterung wäre riskant gewesen. Als die Stahlflasche aus dem Gebäude war, haben die Spezialisten der Asperger Feuerwehr die Flasche dann in den speziell dafür vorgesehenen Bergungsbehälter gebracht. Dieser war zu sperrig, um in das Gebäude gebracht zu werden, daher mussten wir im Freien Arbeiten. Die eigentliche Bergungsaktion hat rund zehn Minuten gedauert.
Was hätten Sie gemacht, wenn das Gas im großen Stil ausgeströmt wäre?
Wir hätten dann mit Löschwasser einen Nebel gebildet, um das Chlorgas zu binden. Damit hätten wir einen Großteil auffangen können, allerdings wäre dann sehr viel Salzsäure auf der Straße gelandet.
Die Infrastruktur war erstaunlich schnell aufgebaut – gibt es für solche Krisenfälle spezielle Vorbereitungen?
Ja, das hat aus meiner Sicht als Einsatzleiter sehr gut funktioniert. Es gibt für solche Gefahrguteinsätze Sonderpläne, um entsprechend schnell Personal bereit zu stellen und die Zelte aufzubauen – in denen haben sich die Feuerwehrleute umgezogen und wurden nach dem Einsatz dekontaminiert. Die Gefahrgut-Kollegen der Asperger Feuerwehr waren sehr routiniert.
Sind solche aufwendigen Einsätze mit gefährlichen chemischen Substanzen häufig?
Nein, das kommt in der Stadt Ludwigsburg sehr selten vor, weil der Brandschutz und die Vorkehrungen in den meisten Gebäuden sehr gut sind. Die letzten Gefahrgut-Einsätze liegen Jahre zurück. So drohte in Neckargröningen einmal, Ammoniak in den Neckar zu gelangen. Vor einigen Jahren gab es zudem einen Gefahrgut-Unfall im Gewerbegebiet Tammersfeld. Der Einsatz am Dienstag war auch für uns tatsächlich außergewöhnlich.
Wie kann man solche Situationen trainieren? Werden derartige Gefahrgutunfälle regelmäßig geübt?
Ja, das betrifft allerdings vor allem unsere beiden Gefahrgutzüge der Feuerwehren in Asperg und Vaihingen/Enz. So routiniert, wie die Kollegen vorgegangen sind, muss man von vielen Übungsstunden ausgehen. Wenn sie solch komplexen Einsätze nur gelegentlich nebenbei simuliert, klappt es im Ernstfall nicht so reibungslos wie jetzt.
War es ein glücklicher Zufall, dass das Campusbad wegen der Schulferien am Dienstag leer gewesen ist, als das Chlorgas ausgetreten ist?
Wenn Badegäste in den Becken gewesen wären, hätten wir sie rechtzeitig nach draußen gebracht, wir haben dafür entsprechende Einsatzpläne. Da die Chlorgasflaschen in einem separaten Raum untergebracht sind, hätte keine direkte Gefahr für die badenden Menschen bestanden. Das Campusbad ist jetzt übrigens wieder funktionsfähig – eine Spezialfirma hat die Salzsäure entfernt, die durch das Chlorgas entstanden ist.