Die Menschen reagieren auf Umfragezahlen. Der Effekt kann ein bis zwei Prozent ausmachen, sagt der Sozialpsychologe Hans-Peter Erb.
Stuttgart - Wir haben mit Hans-Peter Erb darüber gesprochen, ob Umfragen die Wähler beeinflussen. Erb ist Professor für Sozialpsychologie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Herr Erb, beeinflussen Wahlumfragen das Wahlverhalten?
Ja. Eindeutig. Ja. Es wäre aber vermessen zu sagen, dass Umfrageergebnisse die Wahl entscheidend beeinflussen und der Hauptfaktor für die Wahlentscheidung sind.
Entwickeln Umfragen eine Eigendynamik, oder sind die Verschiebungen, wie wir sie im Land erleben, an wirkliche Ereignisse gekoppelt?
Es gibt viele Faktoren, die die Wahlentscheidung bestimmen oder die Entscheidung, überhaupt zur Wahl zu gehen. Wir wissen aus der Grundlagenforschung, dass Menschen auf Umfragezahlen reagieren. Und dass sie ihre Einstellungen ändern. Wie groß dieser Effekt im konkreten Fall ausfällt, ist eine andere Frage. Aber selbst wenn es ein, zwei Prozent ausmacht, kann das schon einen deutlichen Einfluss haben. Ebenso reagieren Wähler auf Ereignisse wie jetzt etwa den Atomunfall in Japan. Das spielt natürlich alles eine Rolle.
Ihre Forschungen sagen, dass Menschen gerne bei der Mehrheit sind. Ist die Wahlentscheidung mit der Einstellung bei anderen Themen vergleichbar?
Dazu gibt es viele Untersuchungen, die diesen Effekt immer wieder in unterschiedlichen Situationen zeigen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass er nicht auch bei einer Wahlentscheidung eine Rolle spielen würde. Das, was die Mehrheit repräsentiert, wird in einem positiveren Licht gesehen, ohne dass man das selbst merkt. Aber es gibt auch den gegenteiligen Effekt, dass man sich nicht von der Mehrheit vereinnahmen lassen will.
Die aktuellen Umfragen sagen, dass das Land mehrheitlich mit der Abwahl der Regierung liebäugelt. Motiviert das nach den von Ihnen zitierten Untersuchungen die Mehrheit, SPD oder Grüne zu wählen?
SPD und Grüne sind im Aufwind. Das wird einige zusätzliche Stimmen bringen. Es wird aber auch den genau anderen, den Motivierungseffekt im Lager des politischen Gegners haben. Dass nämlich die, die Angst vor einer rot-grünen Koalition haben, eher die bürgerlichen Parteien unterstützen und möglicherweise zur Wahl gehen, obwohl sie sonst nicht gewählt hätten. Das gibt es auch.
Eine eindeutige Aussage lässt sich also nicht treffen?
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Vorhersagen wie die für die FDP und die Linke, wo es um den Einzug ins Parlament geht, deren Wähler motivieren. Die Mehrheit, das ist im Moment die CDU, könnte Angst vor der rot-grünen Koalition bekommen. Ich würde für dieses Lager von einem Mobilisierungseffekt ausgehen.
Sind Wahlumfragen also eher für Unentschiedene und Wahlmüde Anlass, ihre Stimme doch abzugeben?
Sie haben Einfluss auf die Wahlbeteiligung. Vor allem dann, wenn's knapp wird.
Wählen die Menschen in der Wahlkabine das, was sie in Umfragen bekunden?
40 Prozent wissen es noch nicht. Das macht Vorhersagen schwer. Und manche wählen strategisch - manchmal sogar entgegen ihrer Einstellung.
Auf der Suche nach Gründen
Motivationsforschung: Hans-Peter Erb ist Professor für Sozialpsychologie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Urteilsbildung, Einstellungsänderung und sozialer Einfluss.
Stationen: Sein Studium hat Hans-Peter Erb an der Universität in Mannheim beendet. Er promovierte in Heidelberg. Weitere Stationen waren die Universitäten Würzburg, Maryland, Jena und Bonn.