Helge Schneider spricht im StZ-Interview über absurde Erkenntnisse, die ihm zufliegen und dem Burnout, dem er nun vorbeugt.

Stuttgart - Ein Haus am Rande von Mülheim an der Ruhr: Helge Schneiders Frau ist gerade in Berlin, und er passt auf die Kinder und Hunde auf. Er konzentriert sich auf die Fragen des Journalisten, aber er schafft es, sich gleichzeitig um Knet in der Hand und Rotz in der Nase zu kümmern. Ein Gespräch über Außenseiter, New York, Burn-out und Improvisation.

 

Herr Schneider, was bedeuten Ihnen eigentlich Rituale?
Oh, da denke ich an einen Suppentopf, in dem jemand drinsitzt. Ein Ritual bedeutet eine Art Ordnung. Für mich ist es ein Ritual, den Herd sauber zu machen, und ich bin ein ordnungsliebender Mensch. Und Rituale haben viel mit Brauchtum zu tun. Aber so ein Typ bin ich eigentlich nicht.

Aber seit Ewigkeiten bespielen Sie zweimal im Jahr den Beethovensaal in Stuttgart, am Faschingsdienstag und am Aschermittwoch.
Das ist vielleicht für die Leute ein Ritual, für mich eigentlich weniger. Denn ich suche mir die Gelegenheiten, wann ich wo auftrete, nicht unbedingt selber aus, sondern die Leute, die den Laden machen, rufen mich an und sagen: „Du warst ja jetzt schon fünfmal hier. Warum machen wir das nicht jedes Jahr?“ Und dann denke ich: Ja, gut, dann habe ich ein Eckdatum.

Und wie geht man damit um, dass man Teil des Rituals von anderen Leuten wird?
Wenn man so was mal angefangen hat und die Leute sich daran gewöhnt haben, dann muss man auch sagen: „Ja, gut, wir sitzen zusammen in einem Boot.“ In Stuttgart kommen Leute und verlassen sich darauf, dass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt zu mir kommen, so wie zur Routineuntersuchung beim Arzt. Als Arzt muss man ja auch sagen: „Ja, gut, dann gucken wir mal nach.“ Etwas anderes mache ich ja auch nicht. (zum Hund:) Fritzi, lass den Mann in Ruhe!

Er hat nur in die Luft gebissen, das ist okay.
Nee, da war ne Fliege oder ne Mücke.

Ihre Auftritte sind ja eine Riesenverschwendung. Sie haben tolle Musiker dabei, aber die müssen die meiste Zeit rumstehen und zugucken, wie Sie Faxen machen. Welche Taktik liegt dieser Verschwendung zugrunde?
Verschwendung ist auch, dass ich alle meine Auftritte, bei denen ich ja viel improvisiere, aufnehmen lasse, aber die Mitschnitte nie veröffentliche. Andere Künstler haben so eine Art Package: Wenn sie zu Harald Schmidt in die Show kommen, ist die CD schon fertig. Aber das mache ich nie, weil ich es gar nicht kann und auch keine Lust darauf habe. Ich kann auch keine ernsthaften Schlager machen. Ich kann nur ich sein. Und das kann ich eigentlich nur improvisierend auf der Bühne. Eine unheimliche Verschwendung. Es ist da und weg: Es ist wie ein Familienerlebnis, das man nicht als Foto festhält. Aber die Eindrücke, die man nicht konserviert, sind viel nachhaltiger. Also, ich verschwende gerne – auch, was die Musikalität meiner Partner und meine eigene angeht.

Und das bereitet Ihnen keine Schmerzen?
Wenn wir so nen Auftritt machen würden, Musik, Musik, tolle Sachen und so, dann würden wir uns ja selber produzieren. Aber das mag ich nicht. Ich mag provokant und lustig sein. Ich produziere mich selber in einer übertriebenen Weise und stelle mich auch als Bildfläche dar, um bei Menschen Träume zu erwecken. Das hört sich vielleicht romantisch und blöd an – aber so ist es. Mich fragen oft Leute: „Mensch, würdest du nicht gerne mal so ein richtiges, ernstes Konzert geben?“

Und?
Ja, aber nicht auf der Konzertbühne. Das, was ich mache, habe ich ja erfunden, weil auf der Konzertbühne alles anders ist als im Jazzclub. Im Jazzclub macht’s Spaß. Aber auf der Konzertbühne ist Anspannung. Jazzkonzerte in einem großen Rahmen haben für mich nicht die Romantik, die diese Musik eigentlich mitbringt. Ich gehe natürlich zu Sonny Rollins ins Konzert, setze mich in die letzte Reihe und beobachte den ganz genau. Aber selber würde ich lieber im Jazzclub spielen, wo ein Besoffener an der Theke steht und stört und dann raus muss. Das gehört zum Jazz dazu. Aber ein Konzert ist ein Stagnieren.

Obwohl Sie gerne verschwenden, gehen Sie auf Tournee, machen Platten und Filme, schreiben Bücher, denken sich Musicals aus. Warum arbeiten Sie so viel?
Wenn ich eine längere Tourneepause habe, sitze ich nicht so gerne untätig rum. Dann erfinde ich was. Ich will immer irgendwas machen, weil mir das Spaß macht. Aber ich glaube, jetzt ist mal Schluss damit – auch, was die Tourneetätigkeit angeht.

Wie bitte, keine Tourneen mehr?
Nach der nächsten Tour, die von Februar bis Juni dauert, ist Schluss mit der Band. Dann will ich einen Film machen, und dann trete ich vielleicht solo auf, wenn ich überhaupt auftrete. Aber nur mal so zwei Tage in Stuttgart, drei Tage in Köln und zwei Wochen in Berlin.

Hat das musikalische Kürzertreten damit zu tun, dass Sie Mitte des Jahres Konzerte abbrechen und absagen mussten?
Nö, das hatte mit der Krankheit zu tun – Kreislaufkollaps. Im Congresszentrum Salzburg hatte ich dem Hausmeister gesagt, dass er die Klimaanlage ausmachen soll. Der hat die dann richtig ausgemacht, nicht bloß runtergeschaltet. Es war heiß, und ich habe in einem Stück sehr schnell Vibrafon gespielt. Da muss man die Arme schnell bewegen. Dadurch geht der Blutdruck hoch. Danach kam so ein Stück: ans Klavier setzen, wie Udo Lindenberg singen, „Meisenmann“. Dazu nur ein Spot. Da hab ich Platzangst gekriegt und keine Luft mehr. Ich hab sozusagen zu schnell runtergeschaltet. Da hab ich dann ganz schön Schiss gekriegt, dass was mit der Lunge oder dem Herz nicht okay sein könnte. (Schneiders kleine Tochter Frieda und sein kleiner Sohn Charlie streiten um Knetmasse. Charlie bringt seinem Vater Knet. Helge Schneider knetet ein Kügelchen und sagt zu Charlie:) Danke, da kann ich was Tolles draus kneten – einen Popel.

Es wurde spekuliert, ob Sie ein weiteres prominentes Burnout-Opfer sein könnten.
Das ist Quatsch. Ich glaube, dass ich keinen Burnout bekommen kann, weil ich von Natur aus eigentlich ein bisschen faul bin. Es sieht zwar immer so aus, als würde ich unheimlich viel machen. Aber das meiste davon mache ich ohne jeden Druck.

Erzeugt es nicht einen irren Druck, wenn man vom Punk bis zum Professor von allen so toll gefunden wird?
Nein, denn ich weiß ja, wo ich herkomme, und wie schwer es jahrzehntelang war, das, was ich mache, zu machen. Nur Leute, die über Nacht berühmt werden, sind dem Druck nicht gewachsen. Die müssen sich durch die Gegend chauffieren lassen und ihre Pflicht erfüllen. Ich bin das Gegenteil davon: Ich erfülle nur meine eigene Pflicht. Ich hab mich immer als Außenseiter gesehen. Das könnte auch ein Grund sein, weshalb ich hier in Mülheim geblieben bin und nicht in ein Zentrum der Kultur wie Berlin oder Paris gezogen bin. Hier konnte ich mir den Außenseiter-Bonus erhalten. Ich muss dem Charlie eben mal den Rotz aus der Nase machen. (Zu Charlie:) Zack.

Ist Stuttgart ein bisschen wie Mülheim?
Stuttgart hat nen schönen Sackbahnhof. Im Gegensatz zu anderen Bahnhöfen erlebt man da ein tolles Gemeinschaftsgefühl. Und was Stuttgart 21 betrifft: Dicke Bäume fällen, die schön gewachsen sind – das kannste nicht wiedergutmachen. Mich nervt es, wenn man keinen Respekt vor der Natur hat.

Sie haben mal gesagt, Sie müssten bei Beerdigungen immer lachen . . .
Das ist immer noch so, aber da ist viel Unsicherheit dabei. Lachen heißt ja nicht, dass der Tod ne lustige Sache ist, aber es gibt vielleicht auch ein Alter, wo man gerne stirbt. Meine Großtante ruft manchmal an. Dann frag ich sie, wie’s ihr geht, und sie sagt: „Ja, gut! Wunderbar! Ach Helge, ich will nicht mehr leben.“ Ich fange jetzt schon damit an, meine Garage sauber zu machen, damit die Angehörigen keinen Ärger damit haben.

Frieda: Papa, wann dürfen wir Sandmännchen gucken?

Helge Schneider: In fünf Minuten mach ich das an. Oder neee. Ich mach euch das jetzt oben an. (Geht ab. Zwei Minuten später kommt Helge Schneider wieder und sagt:) Ein Freund von mir ist neulich an Leberzirrhose gestorben. Zuvor wird man bescheuert davon. Am Schluss sagte er immer: „Morgen gehen wir nach New York.“ Der war noch nie in New York gewesen. Ich war auch nie in New York. Ich will da auch gar nicht hin.

Warum waren Sie noch nie in New York?
Ich wollte früher, mit 19, gerne mit meiner Hammond-Orgel nach New York, mit dem Schiff natürlich. Und irgendwie hab ich immer gedacht: Das geht doch nicht. Dann habe ich mir diesen Wunsch abgewöhnt. Aber New York soll super sein. Meine Frau war schon paar mal da.

Die Stadt, die vielen als Zentrum der Welt gilt, ist Ihnen egal?
Also, ich bin kein Gegner von New York. Und durch die Berichte und Fotos meiner Frau kenne ich mich dort ganz gut aus. Ich empfinde das wie Dortmund. Wenn ich jetzt nach Dortmund fahre, ist das dasselbe. Und der Mittelpunkt der Welt ist ja nicht New York, sondern der einzelne Mensch selber, der seine Umgebung akzeptiert.

Sie sagten neulich bei einem Auftritt: „Am Zylinder erkennt man, dass er einen Hut trägt.“ Wie lange brüten Sie am Schreibtisch über solch einem Satz?
Dieser schlaue Satz ist mir spontan auf der Bühne eingefallen.

Wenn Sie zu so etwas fähig sind – sollten Sie dann nicht eher Bundeskanzler werden, anstatt nur Musik und Faxen zu machen?
Ich bin Spezialist – wie ein Sportwagenbauer. Für mich reicht das völlig aus. Und ich möchte mich nicht so weit zur Verfügung stellen, um Kanzler oder Minister zu werden. Diese Jobs haben ja nichts mit Spontanität zu tun. Ich fühle nur den Auftrag, mein Talent auszuüben – und nicht, dieses Talent zu vergewaltigen, um für andere Aufgaben zur Verfügung zu stehen, die andere Leute auch machen. Ich empfinde das Leben als Schicksalsschlag: Ich lebe in diesem Land mit diesen Politikern, und meine Rolle ist die des Narren. Aber selbst politisch kann man mit meiner Kunst was anfangen: Es ist klar, dass einer, der so was macht wie ich, kein Rassist ist. Das kann nicht sein. Ich muss nicht singen „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“. Ich bin ja vielleicht selber das Schmuddelkind. Ich möchte auch nicht mit Politikern zusammen geknipst werden, weil ich dann sofort als Künstler für eine Idee vergewaltigt werde. Meine Aufgabe ist Quatsch.

Wie zeigt sich der als nächstes?
Ich würde gerne einen Film machen, so wie Charlie Chaplin das früher gemacht hat. Der hatte wahnsinnig viel Filmmaterial und hat improvisiert. Das sieht man seinen Filmen auch an: Nach dem 539. Mal die Treppe runtergehen hat er gesagt: „So, das isses jetzt!“ Inzwischen gab es ja eine Bevölkerungsexplosion, und aus diesem Grund kann man nicht mehr so viel Filmmaterial verbraten.
Das Gespräch führte Michael Werner.