Auch nach seinem Abschied von Stuttgart beobachtet Jens Lehmann den VfB weiter und wundert sich über die vorsichtige Finanzpolitik und den falschen Umgang mit dem Nachwuchs.

Stuttgart – Auch gut zwei Jahre nach seinem Abschied aus Stuttgart verfolgt Jens Lehmann aufmerksam die Entwicklung des VfB. „Ich wundere mich darüber, dass der Verein nicht nach oben kommt. Hier müsste eigentlich sehr viel möglich sein“, sagt der frühere Nationaltorhüter.
Herr Lehmann, wann haben Sie zum letzten Mal ein Spiel des VfB gesehen?
Im Stadion war ich seit längerer Zeit nicht mehr. Das Spiel gegen Fortuna Düsseldorf habe ich mir aber am vergangenen Wochenende im Fernsehen angeschaut.

Sie haben sich die Nullnummer in voller Länge angetan?
Nein, ich hatte mich für die Konferenz entschieden. Da wurde nur hin und wieder nach Stuttgart geschaltet.

Haben Sie eine Erklärung für den missratenen Saisonauftakt?
Es ist für mich ein Mysterium, warum der VfB fast jedes Jahr schlecht in die neue Runde startet. Diesmal ging es besonders unglücklich los, mit dem verschossenen Elfmeter kurz vor Schluss gegen Wolfsburg. So etwas kann nachwirken und einem den Auftakt gründlich vermiesen.

Daran allein dürfte es aber nicht liegen, dass der VfB momentan einige Probleme hat.
Ich wundere mich oft darüber, dass der VfB nicht richtig nach oben kommt. Ich bin nach wie vor überzeugt davon, dass der VfB der Verein in Deutschland ist, der fast das größte Potenzial besitzt. Stuttgart gehört zu den reichsten Großstädten Europas, hier ist so viel Wirtschaftskraft vorhanden wie in keiner anderen Region, es gibt tolle Fans und ein tolles Umfeld. Hier müsste eigentlich sehr viel möglich sein.

Aber?
Schon als ich noch beim VfB war, hatte ich immer den Eindruck, dass die Schwaben immer ein bisschen auf die Bremse getreten haben. Sie tun sich schwer damit zu investieren. Vielleicht fehlt da manchmal der Mut, mehr zu riskieren.

Die Vereinsführung sagt immer, es sei kein Geld da und es müsse gespart werden.
Als ich noch hier war, wurde dank der Champions League der größte Umsatz in der Vereinsgeschichte gemacht, und Mario Gomez wurde auch noch verkauft. Da war eine Menge Geld da. Jetzt frage ich mich: Warum muss der VfB eigentlich so sparen?

Vielleicht weil der Umbau des Stadions so teuer war und die Einnahmen aus der Champions League fehlen.
Ich glaube, wenn man sinnvoll investiert, dann zahlt sich das in der Zukunft immer aus. Das wollten sie beim VfB anscheinend in den vergangenen Jahren nicht mehr machen.

Woran liegt das?
Nach meinem Gefühl hatte der VfB immer größten Respekt davor, Geld auszugeben, weil er mit seinen Investitionen in der Vergangenheit nicht immer erfolgreich war. Da sind teils teure Spieler gekommen, die dem Verein nicht weitergeholfen haben.

Dieses Jahr sind 300 000 Euro investiert worden, um Tim Hoogland auszuleihen . . .
. . . das ist schade für einen Club wie den VfB Stuttgart, hinter dem Mercedes steht und der begeisterungsfähige Fans hat, die in Massen ins Stadion kommen. Andere Vereine, die weniger Geld haben, investieren viel mehr.

Wie sehr erschwert die Zurückhaltung die Arbeit des Managers Fredi Bobic?
Ich denke, er macht insgesamt einen guten Job. Die Vorgaben, die er vom Verein bekommt, an die hält er sich und hat sich meines Wissens nach bisher nicht beschwert. Ich weiß aber nicht, wie unzufrieden er damit ist, dass er nicht mehr einkaufen konnte. Es ist keine leichte Situation, wenn man sich in einer Region und einem Umfeld bewegt, in dem alles funktioniert und alle erfolgreich sind – und ausgerechnet in dem Bereich, der den Leuten am Herzen liegt, läuft es nicht. Da kann es schnell unruhig werden.

Wie groß ist die Gefahr, dass die Kluft zu jenen Clubs, die auf dem Transfermarkt mutiger agieren, weiter zunimmt und der VfB zusehends abgehängt wird?
Es ist natürlich viel schwieriger, mit weniger Geld erfolgreich zu sein. Es kommt vor allem auf das Knowhow der handelnden Personen an. Wenn die Leute in der Clubführung überzeugt sind von der Arbeit von Fredi Bobic und Bruno Labbadia, dann geben sie vielleicht auch wieder mehr Gelder frei. Erwin Staudt hat mal einen klugen Spruch gemacht: „Wenn ich Deutscher Meister werde und 50 Millionen Euro Schulden mache, dann jubeln mir alle zu. Und wenn ich eine schwarze Null schreibe und Elfter werde, pfeifen mich alle aus.“

Erwin Staudts Nachfolger als Präsident, Gerd Mäuser, ist an der schwarzen Null interessiert und will auf den Nachwuchs setzen.
Das ist ja auch nicht das schlechteste Vorhaben. Allerdings war es schon zu meiner Zeit in Stuttgart so, dass aus der eigenen Jugend nichts mehr nach oben zu den Profis gekommen ist, zumindest kein Feldspieler.

Sind die jungen Spieler zu schlecht, oder bekommen sie keine Chance?
Beim FC Arsenal habe ich teilweise mit 15-, 16-Jährigen trainiert – und wir haben damals in der Champions League gespielt. Ich glaube, dass deutsche Vereine häufig nicht wissen, wie sie mit ihren Talenten umgehen sollen. Da hakt es an der Ausbildung. Und da fehlt auch der Mut, junge Spieler einfach mal ins kalte Wasser zu werfen.

Das scheint exakt auf den VfB zuzutreffen.
Dazu will ich jetzt nichts sagen.

Wie oft sind Sie schon gefragt worden, ob Sie dem VfB weiterhelfen wollen?
Noch nie.

Könnten Sie sich so etwas vorstellen?
Ich wüsste nicht, in welcher Funktion. Ich bin damals zwei Jahre lang zwischen Stuttgart und München hin- und hergependelt. Das reicht erst mal.

Wie eng ist noch Ihre emotionale Verbindung zum VfB?
Natürlich nicht so eng wie zu Arsenal. Aber ich war sehr froh, dass ich danach in Stuttgart spielen konnte. Ich habe sehr viele nette Leute kennengelernt, zu denen ich heute noch teils enge Kontakt habe. Ich fand es faszinierend, als ich bei der WM 2006 hier hergekommen bin – und völlig überrascht war von der Begeisterungsfähigkeit der Leute. Das habe ich auch danach erleben dürfen und fand es toll. Deshalb weiß ich, was hier eigentlich möglich sein müsste.

In welchem Bereich wollen Sie Ihre Erfahrung einbringen, wenn Sie im nächsten Mai mit der Trainerausbildung fertig sind?
Ich möchte als Trainer arbeiten. Ich denke, das liegt mir mehr als eine Tätigkeit im Management. Wenn alles passt, kann ich mir vorstellen, zur neuen Saison einzusteigen.