Der bisherige ARD-Korrespondent in Kairo, Jörg Armbruster, bilanziert im Interview die Folgen des Arabischen Frühlings: In Tunesien wird das liberale Kulturleben „gesäubert“, viele Demonstranten sind enttäuscht – und auch Frauen machen sich Sorgen.

Stuttgart – Anfang des Jahres ist der bisherige ARD-Korrespondent für die arabische Welt, Jörg Armbruster (65), an den Neckar zurückgekehrt. Er hat sich in den Ruhestand verabschiedet. Mit einem gewissen Bedauern, wie er zugibt, denn gerne hätte er noch einige Zeit aus der Region im Umbruch berichtet. Im Interview, Teil unserer neuen Reihe über Politik und Gesellschaft, zieht er eine erste Bilanz des arabischen Frühlings und blickt auf die Entwicklungen in den Zivilgesellschaften des Nahen Ostens.
Herr Armbruster, sind die großen Träume eines Wandels in der arabischen Welt schon wieder geplatzt?
So einfach kann man das nicht sagen. Es hat sich vieles zum Guten gewandelt. Meine Arbeitsbedingungen als Korrespondent sind ein Beispiel dafür. Als ich 1999 zum ersten Mal aus Kairo berichtet habe, wurden wir auf Schritt und Tritt von staatlichen Überwachern begleitet und drangsaliert. In den Monaten seit dem Arabischen Frühling wurden wir bei der Berichterstattung von keinerlei Restriktionen mehr behindert.

Inzwischen jedoch besteht die Gefahr einer Islamisierung der Gesellschaft.
Die Islamisierung ist in vollem Gange. In Tunesien ist es zu den schlimmsten Rückschlägen gekommen. Dort drangsalieren die Salafisten, also die radikalen Islamisten, das liberale Kulturleben und wollen es im Sinne des Islams säubern. Sie gehen gegen Buchverlage, Filmverleihe und Kunstausstellungen vor. Die Behörden schauen tatenlos. So weit ist es in Ägypten noch nicht. Eine gute Freundin von mir zum Beispiel, eine Theaterregisseurin, kann noch immer sehr kritische Inszenierungen auf die Bühne bringen. Und ein junger bildender Künstler, ein Bekannter meiner Frau, die selbst Künstlerin ist, profiliert sich mit sehr religionskritischen Werken. Man konnte in den letzten Wochen allerdings bei den Muslimbrüdern eine Neigung zur Zensur beobachten. Zum Beispiel wurde der sehr populäre Komiker Bassem Youssef von Islamisten angezeigt. Es ist aber noch unklar, ob es sich um einen Einzelfall oder den Beginn einer Repressionswelle handelt.

Wie enttäuscht ist die junge, urbane Mittelschicht, die Generation Facebook, von der die arabische Revolution ja ausgegangen ist?
Sie ist natürlich sehr enttäuscht. Wenn man die jungen Menschen fragt, so sagen sie einem zwar, so sei das eben mit der Demokratie, aber selbstverständlich haben sie sich etwas anderes vorgestellt, als sie vor zwei Jahren auf dem Tahrir-Platz demonstrierten. Die Jugendlichen, mit denen ich in letzter Zeit gesprochen habe, haben jedoch nicht resigniert. Sie wollen sich wehren. Die Bereitschaft zur Aufmüpfigkeit ist ein Erbe der Revolution, das so schnell nicht verschwinden wird.

Der Westen hatte Ägypten unter Mubarak immer als stabiles, relativ liberales Land betrachtet . . .
Ja, weil er es so sehen wollte. Mubarak und die Militärs hatten die westliche Israelpolitik unterstützt und hielten die Islamisten auf Abstand. Das kam den USA und den Europäern zupass. Aber im Innern handelte es sich bei Mubaraks Regierung um ein brutales Unterdrückungsregime, basierend auf willkürlicher Polizeigewalt. Die Schergen des Regimes waren sich ihrer Sache sehr sicher. Sie sahen es nicht einmal für nötig an, Videos ihrer Foltertaten im Internet zu verhindern. Im Gegenteil: vermutlich hofften sie, dass die dort gezeigten Methoden abschreckend wirkten. Als 2010 der Blogger Chalid Muhammad Said in Alexandria von der Polizei auf offener Straße totgeprügelt wurde und die Fotos des grausam Entstellten im Internet landeten, brachte dies das Fass zum Überlaufen. Die ersten Massenproteste brachen los.