Was soll sich da ändern?
Ich würde den Mitarbeitern folgende Frage stellen: Was machen wir hier, was aus eurer Sicht besser lokal, regional oder national gemacht werden könnte? Und dann delegieren wir das auf diese Ebene zurück.
Und das soll funktionieren? Bürokratien geben doch freiwillig keine Aufgaben ab.
Man muss der Bürokratie sagen: Es geht nicht um euch, sondern um das Überleben der Europäischen Union. Viele Menschen halten inzwischen die Verwaltung für die eigentliche Idee Europas, wie Wim Wenders das einmal gesagt hat. Nun stehen wir vor der Frage, ob wir die Idee aufgeben oder die Verwaltung verändern. Ich würde lieber die Idee retten. Ich war elf Jahre Bürgermeister. Meine Erfahrung ist: je näher am Bürger eine Entscheidung getroffen wird, desto höher ihre Akzeptanz.
Apropos Bürgermeister: die Konkurrenz geht damit hausieren, dass Sie keine Erfahrung damit haben, wie man ein Land regiert.
Aber vielleicht habe ich ja Erfahrung mit Menschen und deren Alltagssorgen gesammelt? Übrigens ist in Italien gerade der Bürgermeister von Florenz neuer Ministerpräsident geworden. Dass das bei mir nun zum Thema wird, ist für mich ein Zeichen, dass die Konkurrenz annimmt, ich könnte gewinnen.
Europas Bürger haben nun die Wahl zwischen zwei Gesichtern. Aber können Sie auch verschiedene Konzepte wählen? Juncker ist Christsozialer, Sie kein ultralinker Genosse. Sie beide wollen, dass Brüssel nicht alles an sich reißt, aber auch mehr Integration.
Es ist schon auffällig, dass Juncker dasselbe erzählt wie ich. Dass er oft wie ein Sozialdemokrat redet, war vorher bekannt – auch unter Konservativen, weshalb seine Nominierung umstritten war. Juncker ist mir programmatisch sicher nahe, aber ich verstehe jetzt auch, warum er in Deutschland nicht auf die Plakate soll. Meine Partei klebt den auf die Plakate, der kandidiert, die CDU jemanden, der nicht kandidiert.
Warum wäre Juncker aus Ihrer Sicht dennoch der schlechtere Kommissionschef?
Tatsächlich steht Juncker für das alte Europa, in dem hinter verschlossenen Türen Deals gemacht werden. Und meine Vorstellungen darüber, wie wir Steueroasen und Steuerdumping bekämpfen sollten, wird der ehemalige luxemburgische Ministerpräsident nicht teilen.
Vielleicht wird am Ende keiner von Ihnen Kommissionschef, da nicht nur das EU-Parlament bestimmt, sondern auch die Staats- und Regierungschefs ein Wort mitreden.
Das Empfinden von Millionen Menschen ist: die in Brüssel entscheiden über mich, aber ich weiß nicht, wer das ist, und habe darauf keinen Einfluss. Das war ein Grund, warum die Verfasser des Lissabon-Vertrags gesagt haben, dass die Bürger Abgeordnete wählen sollen, die mitentscheiden, wer das wichtigste Amt in der EU bekommt. Das ist ein Stück Demokratisierung in Europa, das die Staats- und Regierungschefs bisher mittragen. Würde der neue Kommissionschef wieder hinter verschlossenen Türen ausgekungelt, wäre das ein Riesenschlag gegen diesen demokratischen Fortschritt.