Kultur: Stefan Kister (kir)
1961 bekennen Sie, von Großdeutschland nur zu träumen, wenn Sie schlafen, und auch dann „gar nicht selig“, doch dann tauchen 1972 die beiden Deutschland erstmals als ein System kommunizierender Röhren auf, sechs Jahre später dann die Einsicht, die Geschichte Deutschlands dürfe nicht in dem Katastrophenprodukt der Teilung enden. Konstanz oder Kehre?
Durch meine Vietnam-Aktivität wurde ich in den sechziger Jahren im öffentlichen Bewusstsein ganz nach links transportiert. In den siebziger Jahren habe ich mich ganz allmählich gewundert, dass wir mit Blick auf die deutsche Teilung diesem Provisoriumsaberglauben verfallen waren. Die Teilung war ein Provisorium, das von allen als endgültig fixiert wurde. Das ist mir auf meine historischen Nerven gegangen, auch gegen mein Gefühl. Ich habe mich lange genug einschüchtern lassen. Dann fasste ich den Mut, doch endlich einmal zu sagen, dass die deutsche Teilung kein erträglicher Zustand sein kann. Und wenn mich das öffentliche Bewusstsein vorher ganz links eingeordnet hatte, fand ich mich nun plötzlich nach rechts geschoben.
Während Sie das Gefühl hatten, sich gleich geblieben zu sein?
Ich habe mich wahrscheinlich kaum geändert. Sonst könnte ich die Texte aus den sechziger Jahren gar nicht mehr richtig lesen. Die Erfahrung aber, wie man eingeordnet wird, hat mein ganzes Leben bestimmt. Man will nicht links oder rechts sein, sondern man hat eben dieses oder jenes Thema. Auch als Linker habe ich heftige Kritik erfahren. Einmal schrieb ich: „Seit Sie mich als Kommunist behandeln, weiß ich, wie bei uns Kommunisten behandelt werden.“
Wie war es dann, plötzlich als rechts behandelt zu werden?
Es lässt sich kaum mit etwas vergleichen, wie gemein, wie niederträchtig Kollegen und Medien über mich hergefallen sind und mich als Nationalisten diffamiert haben. Dass mich ein SPD-Funktionär heruntergemacht hat, konnte ich noch verstehen. Aber dass ein vernünftiger, kluger Kollege wie Jurek Becker dann in der „Zeit“ schrieb: Die Sprache Walsers kenne man aus den Hinterzimmern bayerischer Wirtschaften und man müsse daraufhin noch einmal seine Romane kritisch lesen – das hat mich sehr getroffen. Später, als der ganze Schwindel vorbei war, sind wir uns auf einem Podium begegnet. Als ich ihn darauf ansprach erwiderte er nur: „Haben Sie noch nie etwas im Zorn gesagt“.
Haben Sie nicht?
Ich weiß nicht genau, was das ist: Zorn beim Schreiben. Ich selbst kenne mich so nicht. Mir fehlt da wohl eine Temperamentsbegabung.