Kultur: Tim Schleider (schl)

Und all diese Einwanderer lernen dann bei Ihnen die Grundlagen der württembergisch-schwäbischen Lebensart?
(lacht) Jede Kulturregion versucht, ihre Eigenheiten als Ausdrucksform zu pflegen. Das scheint in einer globalisierten Welt sogar noch stärker zu werden. Schauen Sie mal, wie wichtig mittlerweile in vielen Gegenden wieder der Dialekt geworden ist, wie viele Comedians damit arbeiten. Oder die neue Serie in Ihrer Zeitung, die nennen Sie ja nicht umsonst: „Heimat Stuttgart“. Wer dann aber bei uns nach den kulturhistorischen Wurzeln Württembergs forscht, wird schnell feststellen: ausgeschlossen ist hier wegen seiner Herkunft niemand. Denn gerade diese Region war, ist und wird wohl immer eine Region der Vielstimmigkeit sein. Das wird just für viele Schulklassen, die uns besuchen, eine interessante Erfahrung

Genau, um dieses spezielle Publikum brauchen Sie sich nicht zu sorgen. Die Schulklassen kommen gewiss in Ihr Haus.
Gewiss ist im Museum gar nichts. Die Arbeit mit Kindern ist aber ein Schwerpunkt, den jedes Museum heute leisten muss. Mit unserem Kindermuseum erreichen wir seit zwei Jahren Tausende junger Menschen – und deren Eltern noch dazu. Auch in unserer neuen Schausammlung wird es durchgängig eine Kinderebene mit niedrig gestellten Vitrinen geben. Es ist eine Lust, diesen Kindergruppen bei ihrem Besuch im Württembergischen Landesmuseum zuzuschauen. Niemand ist ja so wissbegierig wie Kinder. Wenn man ihr Interesse geweckt hat, saugen sie wie ein Schwamm die Informationen auf.

Und wie gewinnt man das Interesse für eine Schausammlung, da doch die meisten Kinder heutzutage am liebsten vor ihren Computern sitzen?
Drücken Sie dem Kind einen Gegenstand in die Hand und sagen: Dieses Etwas ist 40 000 Jahre alt, es stammt aus der Zeit der Mammute. Kinder sind fasziniert von der Aura des Originals. Sie sind die besten Geschichtenzuhörer, die man sich nur wünschen kann. Und weil sie selber fast alle daheim etwas sammeln, finden sie es auch gar nicht verwunderlich, dass wir hier im Museum das Gleiche tun.

Nebenbei: von Freitag an werden wir leihweise auch wieder die großartige Steinzeitkunst von der Schwäbischen Alb bei Ihnen sehen können, das kleine Mammut und die Venus vom Hohlen Fels. Gehören diese zentralen Stücke nicht ständig an diesen Ort?
Ich stimme Ihnen zu. Ich fände es schön, wenn der Stolz darüber, solche Meilensteine der Menschheitsgeschichte hier bei uns in Baden-Württemberg gefunden zu haben, sich auch darin äußern würde, dass diese Stücke in der Landeshauptstadt zu sehen sind. Hier wären sie für ein breites Publikum, Einheimische wie Touristen, gut erreichbar. Sie sind ein Teil der württembergischen Kulturgeschichte, der in den Gesamtkontext gehört.

Frau Ewigleben, das Pfingstwochenende will gut geplant sein. Was empfehlen Sie unseren Lesern mehr: die Lektüre des Buches „Der Kulturinfarkt“ oder einen Besuch in Ihrem neu gestalteten Landesmuseum?
Wir laden alle Bürger zum Eröffnungswochenende bei kostenfreiem Eintritt. Was das Buch angeht, steht jedem die Lektüre frei. Ich meine allerdings, dass es wohl nur wenige Bereiche gibt, in denen die ständigen gesellschaftlichen Veränderungen so reflektiert und in der Arbeit aufgegriffen werden wie in der Kultur. Das finde ich in dem Buch nicht wieder. Kultur ist der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält. Das Land Baden-Württemberg gibt gerade mal ein Prozent des Landeshaushaltes pro Jahr dafür aus. Welchen hochverschuldeten Haushalt wollte man mit diesem einen Prozent retten? Wir haben uns für nichts zu verteidigen. Wir leisten gesellschaftliche Basisarbeit.