Früher war der Apfelbaum im Garten wertvoll. Heute ist er für viele eine Last. Das muss laut Andreas Siegele nicht so sein.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Stuttgart - Wenn einer über Äpfel und Birnen Bescheid weiß, ist das Andreas Siegele, der städtische Obstbauberater. Er erklärt unter anderem, wieso hierzulande niemand Obst aus Übersee kaufen muss und warum die Leute von Most auf Bier umgestiegen sind.

 

Herr Siegele, was schmeckt Ihnen besser, Äpfel oder Birnen?
Beides gleich gut. Ich esse alles, sonst wäre ich ein schlechter Obstbauberater.

Kann man Äpfel und Birnen überhaupt vergleichen?
Nö. Gut, beides ist Kernobst. Aber der größte Unterschied ist, bei den Tafelbirnen fehlt die Säure. Also das, was Äpfel süß-säuerlich macht.

Mögen Sie Äpfel aus Übersee, die es ja oft im Supermarkt gibt?
Ich habe den Vorteil, dass ich an der Quelle sitze, weil ich mit Produzenten zusammenarbeite. Insofern stellt sich die Frage nicht.

Wie erklären Sie es sich, dass die Deutschen Äpfel kaufen, die Hunderte von Kilometern reisen, obwohl es hier jede Menge gibt?
Das weiß ich nicht. Vor 20 Jahren hatten Äpfel aus Übersee einen Vorteil. Die Lagertechnik war damals nicht in der Lage, Äpfel über einen längeren Zeitraum frisch zu halten. Da hat man europäische Äpfel bis Mitte Januar verkauft, und danach gab es Äpfel von der Südhalbkugel. In der Zwischenzeit ist die Lagertechnik so weit, dass Äpfel in den Winterschlaf geschickt werden können, über Temperatur und Luftzusammensetzung. Deshalb gibt es jetzt noch Äpfel aus dem letzten Jahr, und man merkt keinen Unterschied.

Warum gibt es dann im Supermarkt überhaupt Äpfel aus Übersee?
Der Import von der Südhalbkugel in die EU ist rückläufig. Die Äpfel aus Südafrika und Neuseeland fahren heute woanders hin. Die fahren nach China und Russland.

Welche Rolle hat Streuobst früher für die Menschen gespielt?
Das Streuobst, wie wir es heute kennen, gab es früher nicht. Früher hatte man hundert Bäume auf den Hektar stehen, und man hat den Boden darunter als Viehfutter oder Viehweide genutzt. Oder man hat, wie zum Beispiel auf den Fildern, unter den Bäumen Kartoffel- oder Ackerbau betrieben.

Früher hatte also jeder seinen Apfelbaum.
Nicht bloß einen. Und das hat einen gewissen Wert dargestellt. Man hat Apfelsaft und Most daraus gemacht und man hat die Äpfel gedörrt. Dasselbe galt für Birnen. Irgendwann war der Most uninteressant. Als man ein bisschen Geld hatte, wollte man lieber Bier trinken. Und die Kinder wollten keinen Apfelsaft mehr, sondern Cola und Fanta. So ging der Stellenwert zurück. Nach dem Krieg kam man auf den Trichter, dass kleinere Bäume effektiver sind. Und dann hat sich die Landwirtschaft gewandelt. Die Betriebe sind umgestiegen, entweder nur auf Ackerbau und Vieh oder nur auf Obst.

Wir reden die ganze Zeit über Streuobst. Was ist damit eigentlich genau gemeint?
Ich denke, den Begriff definiert jeder, wie er will. Man kann sagen, das sind großkronige Bäume, verstreut in der Landschaft. Man hat die Bäume früher zwar in Reihe gepflanzt, weil jeder Baum, um den man mit dem Traktor rum muss, Mehrarbeit ist. Heute sind die Reihen nicht mehr da. Da stehen jetzt vielleicht noch drei, vier alte Mostbirnenbäume. Dann sieht es eben verstreut aus.

Streuobst ist vermutlich nicht nur Apfel und Birne, oder?
Eigentlich gehört alles dazu. Das Problem ist nur, dass bei Beständen, die nicht mehr gepflegt werden, nur die härtesten überlebt haben. Und das sind eben Mostbirnen. Das sieht man zum Beispiel am Rohrer Weg in Möhringen. Die dicksten Bäume dort sind Mostbirnen. Was da oben ganz fehlt, sind Zwetschgenbäume. Die sind wesentlich empfindlicher im Holz. Wenn die von einem Pilz befallen werden, geht ruckzuck der Baum kaputt. Bei Kirschen genauso.

Es gibt ja Gruppen, die sich stark machen für den Erhalt von Streuobstwiesen. Sind sie wirklich vom Aussterben bedroht?
Ja. Sobald die Nutzung wegfällt, fehlt der Kulturlandschaft die Pflege, und dann hat sich’s. Ich sage immer: Am Zustand der Bäume kann man den Zustand der Besitzer ablesen. Meistens sind die Bäume alt und gebrechlich – und die Besitzer auch. Die Nachfolgegeneration beschäftigt sich oft erst damit, wenn sie die Grundstücke erbt.

Darf man die Bäume absägen?
Nein, wenn es ein Landschaftsschutzgebiet ist, geht gar nichts. Und wenn ich einen alten Baum absäge, muss ich auf jeden Fall nachpflanzen. Ich kann den Baum aber auch stehen lassen, da hockt dann zum Beispiel der Specht drin.

Aber man kann auch einfach gar nichts tun?
Leider, ja.

Gibt es zurzeit Streuobst-Projekte in den Bezirken unterm Fernsehturm?
In Plieningen habe ich am Hummelberg ein Modellprojekt. Die Stadt hat dort vor vier, fünf Jahren zwei Wiesengrundstückle mit Bäumen gekauft. Da haben wir gedacht, wir zeigen den Leuten, wie man die Bäume mit wenig Aufwand in Schuss halten kann, und wie ich nachher die Äpfel weiter verwerte. Das Projekt funktioniert hervorragend. Den Baumschnitt machen wir selber, für die rund 40 Bäume brauchen wir zu zweit einen halben Tag. Geht also recht fix. Das Mähen interessiert uns nicht, das macht ein Landwirt für Pferdefutter. Das Aufsammeln der Äpfel, das haben wir auch ganz clever gelöst, das macht die Waldorfschule aus Vaihingen für ein Partnerprojekt in Afrika oder die Wilhelmspflege in Plieningen.

Die Ernte läuft zurzeit. Was sind die Vorboten für eine gute Ernte?
Ich kann nicht sagen, wie die Ernte wird, wenn das Obst noch am Baum hängt. Sonst sage ich: Es gibt eine gute Ernte, und heute Abend hagelt’s, dann habe ich keine mehr. Die Prognosen auf EU-Ebene waren in den vergangenen zehn Jahren kein einziges Mal richtig. Für dieses Jahr ist eine unterdurchschnittliche Ernte prognostiziert. Wir werden sehen.