Kultur: Stefan Kister (kir)

Sie haben zum Papst ein gutes Verhältnis. Und Sie sind ein Freund der Tridentinischen Messe – wie die Piusbrüder. Im Streit mit dieser Gemeinschaft muss der Papst schlichten, um eine Spaltung zu vermeiden. Was würden Sie ihm raten?
Ich bin froh, dass ich das nicht muss. Das ist eine schwierige Sache. Der Wunsch des Papstes, eine Spaltung zu vermeiden, ist verständlich. Schismen sind leicht gemacht und ganz schwer wieder revidierbar. Die Piusbrüder sitzen auf einem hohen Ross. Aber es geht hier nicht um Sympathie, schon gar nicht um die Holocaust-Leugnung – diese persönliche Verranntheit des Bischofs Williamson; es geht um die Gläubigen und die vielen jungen Priester dieser Gemeinschaft. Es hat sich bewährt, wenn die Leute in der Kirche bleiben. Dann können sie auf Dauer einen bestimmten Grad der Vernageltheit nicht aufrechterhalten.

Warum gilt für die Tridentinische Messe nicht das, was Sie über die Verehrung des Untergehenden gesagt haben? Ist das nicht eine theologische Musealisierung?
Ende der 60er Jahre wurde durch päpstlichen Machtspruch ein anderthalb Jahrtausende alter Ritus aller weiteren organischen Entwicklung entzogen und kurzerhand verboten. Der jetzige Papst ist der Überzeugung, dass ein Papst mit einem solchen Verbot seine Kompetenz überschreitet und hob deshalb das Verbot auf. Und wenn Sie den Altersdurchschnitt derer betrachten, die in Zuffenhausen die Alte Messe der Petrusbruderschaft besuchen, so liegt er weit unter dem von Kirchen, wo die neue Messe gefeiert wird. Musealisierung sieht anders aus.

Die Salafisten sind die Piusbrüder des Islams. Dürfen sie hier den Koran verteilen?
Ja. Solange sie nicht Propaganda für eine gewalttätige Version von Islam machen, sondern nur den Koran verteilen, kann man ihnen das nicht verbieten. Jede universalistische Religion ist missionarisch.

Erfüllt Sie die nun vollzogene Energiewende mit Genugtuung?
Sicher. Man hätte das schon viel früher anpacken müssen, beziehungsweise hätte man in die Atomkraft gar nicht erst einsteigen sollen. Mein Argument ist nach wie vor dasselbe wie damals: es war unverantwortlich das anzufangen, ehe das Endlagerproblem gelöst war. Das ist der Kern der Sache. Man sucht bis heute. Das Ganze gründet auf dem Prinzip Hoffnung. Das ist frivol.

Wie vernünftig ist unsere Wirklichkeit?
Es ist offenkundig, dass wir in vielerlei Hinsicht parasitär leben. Denken Sie an die Demografie oder unseren Ressourcenverbrauch. Das ist unvernünftig. Aber wir würden das gar nicht wahrnehmen, wenn wir nicht Vernunft hätten, wenn nicht eine basale Vernünftigkeit der Welt vorausgesetzt wäre. Sie können Unvernunft nur kritisieren vor dem Hintergrund eines Ganzen von ungeheurer Vernünftigkeit.