Stefan Mappus hat Ziele: Der neue Ministerpräsident will die Finanzwirtschaft regulieren und die Atomenergie länger nutzen.

Stuttgart - Gerade mal vier Tage ist Stefan im Amt, doch die Politik wartet nicht, bis er sich eingearbeitet hat. Gewohnt robust nimmt sich der Ministerpräsident seinen Berliner Parteifreund Norbert Röttgen zur Brust. Mappus erwartet vom Bundesumweltminister einen konstruktiven Vorschlag zum Weiterbetrieb des Atomkraftwerks Neckarwestheim I, dessen Reststrommenge demnächst aufgebraucht ist.

Herr Mappus, Sie haben in dieser Woche das Amt des Ministerpräsidenten übernommen. Ihr finanzieller Spielraum aber ist begrenzt. Am Tag Ihrer Wahl hat der Landtag einen Etat mit Rekordverschuldung beschlossen.


Man kann auch etwas gestalten, ohne dass einem gleich der ganze Landeshaushalt um die Ohren fliegt. Gestalten heißt schließlich nicht automatisch, dass man immer mehr Geld ausgeben muss. Was die Rekordverschuldung angeht: mit Verlaub, wir haben die größte Wirtschafts- und Finanzkrise aller Zeiten. Das erklärt dieses hohe Maß an Verschuldung.

Bisher haben Sie immer nur gesagt, wo Sie keinesfalls sparen wollen.


Moment, ich habe nur zwei Bereiche genannt: das Landeserziehungsgeld und die Bildungspolitik. Es wäre fatal, jetzt dort zu sparen. Eher werden wir an der einen oder anderen Stelle noch einen Zahn zulegen.

Aber irgendwann werden Sie von den Schulden eingeholt. Die neuen Schulden im Doppeletat 2010/2011 müssen binnen sieben Jahren getilgt werden. Dann kommen Sie an Einschnitten nicht mehr vorbei.


Nach dem Ende der Wirtschaftskrise fahren wir einen harten Sparkurs. Ich gehe davon aus, dass wir spätestens 2012 das tiefe Tal vollständig durchschritten haben.

Das Land ist von der Wirtschaftskrise besonders stark getroffen. Was können Sie zu seiner Gesundung beitragen?


Ich höre immer, es gäbe keine Kreditengpässe. So ganz überzeugt bin ich davon nicht. Ich mache mir Sorgen, was die Kreditversorgung der mittelständischen Industrie angeht. Die Banken erzählen mir, alles funktioniere wunderbar. Das stellt sich nicht in jedem Fall als richtig heraus. Deshalb denken wir über Instrumente nach, mit denen wir Unternehmen helfen können. Es gibt Gespräche mit der L-Bank, der LBBW und anderen Instituten. Staatliche Eigenkapitalhilfen für Firmen schließe ich aus. Ich bin dagegen, dass der Staat in möglichst viele Unternehmen einsteigt. Aber im Segment des Fremdkapitals könnte es sein, dass wir in den nächsten Wochen noch etwas tun.

Sie haben eine Debatte um eine LBBW-Privatisierung angestoßen. Machen Sie Ernst?


Ich habe das nicht ins Gespräch gebracht. Ich wurde von einem Journalisten gefragt, ob ich eine Privatisierung der LBBW für die Zukunft ausschließen würde. Und ich habe natürlich geantwortet: Nein. Ich kann nicht sagen, dass eine Privatisierung auch in zehn Jahren noch kein Thema ist. Die Finanzmärkte werden sich gewaltig wandeln. Ein Verkauf kommt aber momentan schon deshalb nicht in Frage, weil sich kein angemessener Preis erzielen ließe.

Sparkassenpräsident Peter Schneider hält Ihre Idee für nicht so toll.


In Bayern haben die Sparkassen noch vor zwei Jahren erzählt, sie gingen niemals aus der BayernLB heraus. Jetzt sind sie noch mit fünf Prozent beteiligt, den Rest haben sie fluchtartig an den bayerischen Staat abgegeben. Niemand kann heute die Zukunft vorhersagen. Deshalb kann man selbst dann etwas nicht ausschließen, wenn man es momentan nicht anstrebt.

Sie sind im Verwaltungsrat der LBBW und werden als Ministerpräsident der Trägerversammlung vorstehen. Akzeptieren Sie eine Mitverantwortung der Politik für die schwierige Situation der Landesbank?


Seit Mittwoch bin ich nicht mehr im Verwaltungsrat, künftig bin ich Mitglied der Trägerversammlung. Die wird es aber ab Mitte des Jahres aller Voraussicht nach nicht mehr geben. Wir ersetzen beide Gremien durch einen Aufsichtsrat mit weniger Mitgliedern. Auch das Land wird nicht mehr so viele Vertreter haben wie bisher. Was nun die Verantwortung angeht: Wenn man in einem Aufsichtsgremium sitzt, kann man natürlich schlecht sagen, dass man mit dem Ganzen nichts zu tun hat. Aber ich erkenne auch in der Rückschau nicht, wie wir die Entwicklung früher hätten erkennen können.

Vielleicht verstehen Politiker zu wenig vom Bankgeschäft?


Das wird uns landläufig nachgesagt. Doch von den 29 Mitgliedern im Verwaltungsrat der Landesbank kommen nur neun aus der Politik. Also müsste es noch 20 andere geben, die richtig Ahnung haben, darunter Leute aus der Wirtschaft und auch Sparkassendirektoren. Aber die sagen auch, dass die Finanzkrise in dieser Konsequenz für sie nicht vorhersehbar gewesen sei. Dasselbe lasse ich übrigens auch für den Vorstand der Bank gelten. Ich halte es für schwierig, dem Vorstand vorzuhalten, er hätte Ende 2006 präzise wissen müssen, wohin die Reise geht. Die Staatsanwaltschaft geht noch weiter und erhebt den Vorwurf, der Vorstand habe mit Vorsatz die falschen Entscheidungen getroffen. Da bin ich sehr gespannt, wie sich das juristisch handhaben lässt.

Also trägt niemand eine Verantwortung?


Die ganze Systematik stimmt nicht, und daran hat sich bisher so gut wie nichts geändert. Die Ratingagenturen sind dieselben wie bisher. Sie bewerteten über 90 Prozent der Papiere, auf die sich die Staatsanwaltschaft stützt, Ende 2006 mit Triple A. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die einen knapp zweistelligen Millionenbetrag dafür erhalten, dass sie die Bilanz der LBBW und ihrer Tochterunternehmen testierten, übten nie auch nur ansatzweise Kritik an der Geschäftspolitik. Auch die Bankenaufsicht war in den Sitzungen vertreten. Alle Institutionen, die mit Aufsicht und Überwachung beschäftigt waren, haben nichts vorhergesehen. Deshalb müssen wir nacharbeiten.

In welcher Weise?


Die Ratingagenturen kann man so nicht mehr laufen lassen. Es muss eine staatliche Institution geben, die das Rating übernimmt. Wir können die Wirtschaftsprüfer über eine höhere Haftung in die Verantwortung nehmen. Bestimmte Bankgeschäfte gehören schlicht untersagt, etwa die Leergeschäfte, die kurzzeitig verboten und jetzt schon wieder zugelassen wurden. Es geht gerade so munter weiter wie bisher. Wir müssen deshalb ein paar Zügel kräftiger anziehen.

Günther Oettinger ist wurde in Wirtschaftskreisen vorgeworfen, er habe die ökonomische Potenz des Landes auf Bundesebene nicht hinreichend in Einfluss umgemünzt. Werden Sie das besser machen?


Ich habe das hinter vorgehaltener Hand auch gehört. Man tut ihm damit Unrecht. Der Einfluss in Berlin bemisst sich nicht nach der Lautstärke, in der man seine Interessen vertritt. Günther Oettinger hat mehr getan, als manche wahrgenommen haben. Ich ziehe aus der Kritik an ihm allerdings den Schluss, dass etwas mehr Lautstärke nicht schaden kann.

Wie beurteilen Sie den Start der schwarz-gelben Koalition in Berlin?


Der Start war suboptimal, aber wir haben noch dreieinhalb Jahre Zeit, um das zu korrigieren.

An wem lag es?


Ich bin erstens davon ausgegangen, dass die FDP besser startet. Zweitens haben mich auch ein paar CDU-Akteure überrascht. Zum Beispiel haben wir im Wahlkampf immer erzählt, wir stehen für den Ausstieg aus dem Atomausstieg. Kaum ist die Wahl vorbei, lese ich ein Papier von der CDU, in dem dieser Kurs infrage gestellt wird. Das hat mich maßlos geärgert, weil Politik berechenbar und zuverlässig sein muss.

Beharren Sie darauf, dass bis zum Sommer Eckpunkte für ein Energiekonzept vorliegen?


Ich habe kein Problem, wenn Bundesumweltminister Norbert Röttgen sagt, er brauche bis zum Sommer, meinetwegen bis zum frühen Herbst, um ein Gesamtkonzept auf den Tisch zu legen. Es wäre aber völlig inakzeptabel, wenn das die Konsequenz hätte, dass zwei Reaktoren, darunter Neckarwestheim I, abgeschaltet werden müssten. Das ist mit uns nicht zu machen. Denn das wäre das schiere Gegenteil von dem, was man unter Redlichkeit in der Politik versteht. Wir haben klare Aussagen getroffen. Zusagen müssen eingehalten werden, darauf lege ich allergrößten Wert.

Wie werden Sie reagieren? Norbert Röttgen einen freundlichen Brief schreiben?


Das hat bereits die Umweltministerin des Landes, Tanja Gönner, getan. Aufgabe von Herrn Röttgen ist es, einen geeigneten Übergangsmechanismus zu finden, der einen Weiterbetrieb von Neckarwestheim I erlaubt. Ich bin mir sicher, dass es eine Lösung in unserem Sinne geben wird. Das hat die Bundeskanzlerin zugesagt.

Herr Mappus, Sie sind jung genug, um noch Vorbildern nacheifern zu können. Haben Sie ein Vorbild als Regierungschef?


Da kann ich Lothar Späth und Erwin Teufel nennen - so unterschiedlich sie das Amt ausfüllten. In der Regierung von Erwin Teufel bin ich politisch groß geworden. Lothar Späth habe ich schon immer bewundert. Und vieles werden wir in der Kontinuität von Günther Oettinger weiterführen.

Was hat Sie denn für Späth eingenommen?


Er hat eine unglaubliche Begeisterungsfähigkeit. Das ist vielleicht auch das Hauptmanko der CDU in Deutschland. Ich glaube nicht, dass wir politisch falsch unterwegs sind. Aber ich spüre, dass wir es nicht ausreichend schaffen, die Menschen mitzunehmen. Gelingt uns dies, erreichen wir auch wieder bessere Wahlergebnisse.

Wann ist Ihnen der Gedanke gekommen, dass Sie Ministerpräsident werden können?


Ganz konkret: am letzten Samstag des Oktobers 2009. Da hat Günther Oettinger angerufen und gesagt, dass er nach Brüssel geht.

Vorher nicht ? Gab es nie ein Zaunrütteln vor der Villa Reitzenstein, dem Sitz des Regierungschefs?


Ich habe an keinem Zaun gerüttelt, aber es wäre unehrlich zu sagen, dass man nicht an das Amt denkt, wenn man Fraktionsvorsitzender ist. Dass es so schnell geht, hätte ich nicht gedacht.

Ihr Aufstieg war von Kampf geprägt. Sie haben sich durchgebissen. Seit Ihrer Nominierung zum Ministerpräsidenten wirken Sie viel harmoniebedachter.


Es ist schon so, dass mir in meinem Leben nicht alles in den Schoß gefallen ist. Da gab es Stationen, wo ich kämpfen musste. Das ist nichts Negatives. Aber jedes Amt bringt neue Erfordernisse mit sich. Das heißt nicht, dass man die Persönlichkeit ändert. Ein Ministerpräsident sollte aber nicht zu sehr polarisieren. Der Fraktionsvorsitzende kann auch mal hinlangen. Im Übrigen: Ich bin harmoniebedürftig, aber nicht harmoniesüchtig. Es gibt ab und an auch Konflikte, die ausgetragen werden müssen.