Regio Desk: Achim Wörner (wö)

Sie haben sich vor genau einem Jahr rund um die Weihnachtsfeiertage entschieden, nicht noch einmal für das OB-Amt zu kandidieren. Wie sind Sie dabei zu dem Schluss gekommen, dass es für Sie genug ist?
Auch in diesen Tagen habe ich mich an Manfred Rommel erinnert. Er ist zum Schluss seiner Amtszeit stark kritisiert worden. Stuttgart steckte damals Mitte der neunziger Jahre mitten in einer Wirtschaftskrise, Manfred Rommel war krank, und er fühlte sich ausgepowert. Überall hieß es: Warum klebt er an seinem Stuhl, weshalb geht er nicht? Es gab keine Dankbarkeit und kein Mitleid. Das war sehr hart für ihn. Ich sagte mir: Das will ich mir selbst einmal auf keinen Fall antun.

Hatten Sie Angst, dass Ihr eigener Körper auch nicht mehr mitspielen könnte?
Angst wäre übertrieben. Ich habe mir die Fakten vor Augen gehalten. Ich bin 63 und habe normalerweise eine 70-Stunden-Woche. Da weißt du nie, wie lange dein Körper das noch durchhält.

Sie sind beinahe täglich auf einer Termintournee im gesamten Stadtgebiet unterwegs. Wie fühlt sich ein Leben an, das so oft vom Terminkalender fremdbestimmt wird?
Die meisten Termine nehme ich gerne wahr. Wenn du eine neue Turnhalle eröffnest, wirst du natürlich freundlich empfangen. Das ist in meinem Job eher die Regel und nicht die Ausnahme. Als Oberbürgermeister befinde ich mich in einem permanenten Wettlauf darum, in der Stadt etwas zu verbessern. Manchmal treibst du dabei die Dinge selbst an, und manchmal bist du ein Getriebener.

Sie haben über viele Jahre Macht besessen. Wer Macht besitzt, zahlt einen Preis, indem er auf vieles verzichten muss. Welches Opfer bedauern Sie?
Meine Aufgabe ist eine Berufung, da bleibt dir keine Zeit für irgendwelche Hobbys. Ich habe immer versucht, den Stress als positiven Stress zu begreifen. Und ich habe mir jeden Morgen vorgenommen, das Rathaus mit einer positiven Grundstimmung zu betreten. Wenn du das nicht tust, kannst du andere auch nicht motivieren. Jetzt bin ich mehr als 25 Jahre im Rathaus. Es ist genug.

Noch mal: Bedauern Sie es heute, zu wenig Zeit für Ihre Familie und Ihre Kinder gehabt zu haben?
Das war oft nicht leicht. Ich hatte und habe trotzdem immer eine gute Beziehung zu meinen Kindern. Wenn sie mich gebraucht haben, habe ich geschaut, dass ich es einrichten konnte. Aber ich weiß, dass meine Familie jetzt die Erwartung an mich hat, dass ich öfter da sein werde. Ich habe ja inzwischen auch Enkelkinder.

Der Politikbetrieb kann erbarmungslos   sein. Spitzenpolitiker verdienen schlechter als in der Wirtschaft und werden härter kritisiert. Können Sie es nachvollziehen, dass in jüngster Zeit viele von sich aus aufgegeben haben?
Jeder muss das für sich entscheiden.

Hat es bei Ihnen Momente gegeben, in denen Sie mit Ihrem Amt gehadert haben und ans Aufgeben dachten?
Nein. Bei Stuttgart 21 gab es natürlich sehr unangenehme Phasen. Aber ich habe in meinem Leben zuvor schon zweimal solche Wellen von Demonstrationen erlebt. Ich habe unmittelbar nach 1968 zuerst in Tübingen und dann in Freiburg studiert. Während des Vietnamkriegs war die Stimmung an den Hochschulen aufgeheizt, und alles war ideologisch geprägt. Das war für mich der Ausgangspunkt, warum ich mich politisch engagiert habe: Ich wollte das Feld an den Unis nicht den Linksradikalen überlassen.