Warum lassen muslimische Eltern ihre Töchter nicht ins Schullandheim fahren?
Sie haben Angst davor, dass nachts Jungs in die Zimmer der Mädchen kommen oder die Essensvorschriften nicht eingehalten werden. Wenn die Mädchen zuhause erzählen, dass sie nächtliche Besucher hatten, ist das eine Schande für die ganze Familie. Ich habe den Eltern gesagt, wenn sie ihrer Tochter vertrauen, dann schicken sie sie mit. Den Jungen habe ich klar gemacht, dass die Zimmer der muslimischen Mädchen tabu sind. Ich habe aber auch die muslimischen Jungen und deren Eltern vorgeladen, wenn mir ihr Macho-Verhalten zu weit ging.
Wann wurde das Kopftuch zum Problem?
Das war im Jahr 2000, als mich Fereshta Ludin anrief und fragte, ob sie in der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart sagen dürfe, dass es in Baden-Württemberg bereits eine Lehrerin gebe, die mit Kopftuch unterrichtet. Ich habe zugestimmt, ich dachte mir, an der Schule ist alles gut und auch die vorgesetzte Schulbehörde wusste Bescheid, warum also nicht. Im Nachhinein weiß ich, dass ich naiv war.
Der Richter rief damals in der Schillerschule an, um zu fragen, ob es dort eine Lehrerin mit Kopftuch gibt.
Die Vertreter des Landes hatten bei Gericht gesagt, dass es in Baden-Württemberg keine Lehrerin mit Kopftuch gebe, also griff der Richter zum Telefon. Das schlug ein wie eine Bombe. Ich war in der Waschstraße in Fellbach, als ich im Radio die Nachricht hörte. Bald darauf bekam ich die Weisung, das Kopftuch im Unterricht abzunehmen.
Warum ist es für Sie bis heute undenkbar, ihre Haare zu zeigen?
Ich habe viele Jahre gebraucht, bis ich mich vom Katholizismus losgesagt habe. Als Muslimin hat es viele Jahre gedauert, bis der Entschluss gereift ist, ein Kopftuch zu tragen. Die Menschen nehmen immer nur das Kopftuch wahr, aber es ist die ganze Art, zu leben, sich zu kleiden. Ich trage seither immer weite Kleidung und lasse meine Arme nie unbedeckt. Für uns Europäerinnen ist dieses sich Verhüllen etwas Fremdes, wir neigen dazu, uns zu entkleiden. Schauen Sie doch im Fernsehen, zu was für einem Frauenbild dies führt.
Haben Sie von Ihrer Tochter erwartet, dass Sie Kopftuch trägt?
Nein, Zwang widerspricht jeder Religion. Man darf niemanden mit Verweis auf den Koran dazu zwingen, ein Kopftuch zu tragen, genauso wenig wie man jemanden mit Verweis auf die staatliche Neutralität dazu zwingen sollte, es abzulegen. Es muss jedem Menschen freigestellt sein, wie er seine Religion lebt. Ich habe auch von meinen muslimischen Schülerinnen nie ein Kopftuch erwartet. Im Gegenteil, ich habe Mädchen unterstützt, die ihr Kopftuch abgelegt haben und bei denen ich gemerkt habe, die Eltern machen Druck, es wieder anzuziehen. Ich habe zu den Mädchen gesagt, es muss eure Entscheidung sein, nicht die der anderen. Deshalb ärgere ich mich, wenn Feministinnen das Kopftuch als Zeichen der Unterdrückung der Frauen deuten.