Elterngeld versus Betreuungsgeld: Die Widersprüche bei den Familienleistungen bekommen besonders Alleinerziehende zu spüren, sagt die Sozialpsychologin Miriam Hoheisel im StZ-Interview.

Stuttgart - Die Widersprüche bei den Familienleistungen bekommen vor allem Alleinerziehende zu spüren, sagt die Sozialpsychologin Miriam Hoheisel

 

Frau Hoheisel, eine große Kosten-Nutzen-Analyse der Regierung könnte die Basis sein, um die Familienleistungen konsequent zu entrümpeln. Womit würden Sie zuerst aufräumen?
Wir sind gespannt auf die Ergebnisse der Evaluation, die das Ministerium hoffentlich bald veröffentlicht. Wir würden mit den Widersprüchlichkeiten aufräumen: Die Familienleistungen sind intransparent, nicht aufeinander abgestimmt, teilweise kontraproduktiv oder einander entgegengesetzt. Es fehlt der rote Faden, der anerkennt, dass sich die Lebenswege heutzutage ändern. Die Leistungen werden der Vielfalt der Familienrealitäten wie Nichtverheirateten, Patchwork, Alleinerziehenden und Regenbogenfamilien nicht gerecht. Während das Elterngeld auf die Gleichstellung der Partner abzielt, unterstützt das Betreuungsgeld die klassische Arbeitsteilung.

Welches Ziel sollten die Leistungen haben?
Oberste Priorität muss die materielle und soziale Teilhabe haben. Die Kinderarmut in Deutschland ist erschreckend und konstant hoch. Das Armutsrisiko von Alleinerziehenden ist drei Mal so hoch wie das von Paarfamilien. Beides sind Indizien dafür, dass das Geld nicht bei allen gleichermaßen ankommt.

Ist Ihnen ein Fördertopf ein besonderer Dorn im Auge?
Das Ehegattensplitting begünstigt den Ausstieg von Frauen aus dem Berufsleben zu Gunsten von mehr Zeit für die Familie. Andererseits fordert das neue Unterhaltsrecht mehr Eigenverantwortung. Doch es fällt nach einer Trennung oder Scheidung besonders denen schwer, Fuß zu fassen, die vorher komplett aus dem Beruf ausgestiegen sind. Das ist ein Widerspruch im System, und die Reibungsverluste bekommen Alleinerziehende täglich zu spüren. Sie haben einen geringen Entlastungsbetrag von 1308 Euro pro Jahr, die sie steuerlich absetzen können, während das Ehegattensplitting bis zu 15 000 Euro jährlich mehr im Geldbeutel bringen kann. Unser Verband setzt sich deshalb für eine Individualbesteuerung ein – unabhängig vom Familienstatus. Damit würden auf lange Sicht auch die Risiken der Altersarmut gerechter zwischen den Geschlechtern verteilt.

Ist denn wenigstens das Kindergeld gerecht?
Auf den ersten Blick ja. Es ist aber auch an das Steuerrecht gekoppelt, das seine volle Entlastungswirkung erst bei hohen Einkommen entfaltet. Für Vielverdiener bedeutet das bis zu fast 100 Euro mehr Entlastung im Monat zusätzlich zum Kindergeld. Ganz unten aber kommt nichts an, weil bei Hartz-IV-Empfängern die Förderung auf die Sozialhilfe angerechnet wird. Auch da wird also die soziale Schieflage gefördert. Wir fordern, die bisherigen kindbezogenen Transfers zu einer Leistung von 500 Euro Kindergrundsicherung pro Monat und Kind zu bündeln. Jedes Kind ist gleich viel wert: So würde der Teufelskreis der Stigmatisierung aufgebrochen.

Familien wünschen sich bessere Betreuungsangebote und flexiblere Arbeitszeiten. Ist Zeit das neue Geld?
Man braucht beides. Man sollte nicht die Infrastruktur gegen die finanzielle Unterstützung aufrechnen. Mütter wollen ihre Bildung im Beruf umsetzen, Väter wollen nicht nur nach Feierabend für die Kinder da sein. Das Elterngeld zum Beispiel greift diesen Wunsch nach einer partnerschaftlichen Familienarbeit auf, muss aber weiterentwickelt werden.