Warum hat sich Brasilien diesen Importsport so schnell angeeignet?
Vermutlich, weil zum Fußballspielen so viele Leute nötig sind. Beim Tennis langen zwei, insofern kann das ein Elitesport bleiben. Ich denke mir, diese jungen Burschen aus der Oberschicht kamen in ihre Clubs, und wenn dann Spieler gefehlt haben, dann haben sie die 22 vollgemacht, indem sie irgendjemanden ausgefordert haben, mal mitzuspielen, was weiß ich, vielleicht jemanden vom Reinigungspersonal. Wenn Sie ein Turnier veranstalten wollen, brauchen Sie mindestens drei Mannschaften. Also schon eine kleine Menschenmenge.
Aber spielen muss man auch können, da kann man ja nicht irgendjemanden rufen.
Fußball enthält ja sowieso eine Technik, die kaum zu beherrschen ist, weil er eben mit dem Fuß gespielt wird, insofern ist er sozial viel offener. Fußball hat ein athletisches und ein technisches Element, aber vor allem ist er außerordentlich unvorhersehbar, und genau deshalb ist er ein universaler Sport geworden. Lassen Sie den Weltbesten im Tennis gegen den Zehnten in der Rangliste spielen – der Champion gewinnt in der Regel. Bei Sportarten, die mit der Hand ausgeübt werden, haben Sie eine viel höhere Präzision und Vorhersehbarkeit des Ausgangs.
Aber das ist bei allen Menschen so. Warum spielen ausgerechnet die Brasilianer so gut?
Im 19. Jahrhundert war ein Drittel der Bevölkerung von Rio de Janeiro schwarz. Das waren Sklaven, deren Kampfsportart Capoeira war, und dieser Kampftanz wird mit dem Füßen ausgeübt. Vielleicht liegt es an dieser speziellen Körperlichkeit, dass später eine Art Ventil geöffnet werden konnte für den sozialen Aufstieg der schwarzen Underdogs, die dann Stars wurden. Das begann schon in den dreißiger Jahren, und das fällt bis heute auf. Nur Brasilien trat 1958 in Schweden mit schwarzen Spielern an. Eine wunderbare Erfahrung. Und wenn Sie die Nationalmannschaft Frankreichs, wo es schon immer rassistische Tendenzen gab wie in Deutschland, von 1958 mit der von heute vergleichen – fantastisch!
Was ist Ursache und was ist Wirkung? Gibt es mehr schwarze Spieler, weil die Welt besser geworden ist? Oder hat der Rassismus im Sport abgenommen, weil die Schwarzen besser spielen?
Das Entscheidende ist das Talent. Besitzer eines Vereins können es sich nicht leisten, einen Spieler aufs Feld zu schicken, der nichts kann, das gehört zur kapitalistischen Logik des Verhältnisses zwischen den Mitteln und dem Zweck. Es ist ja kurios hier in Brasilien, aber woanders ist es auch nicht anders: Wenn eine Mannschaft dreimal hintereinander verliert, wird gleich der Trainer gefeuert oder die Mannschaft umgebaut. Was zählt, ist der Erfolg, das andere tritt in den Hintergrund. Das kann man übrigens auch sehr schön in der Musik der USA sehen – alle großen Musiker waren damals schwarz: Louis Armstrong, Duke Ellington, Nat King Cole, Billie Holliday.