IOC-Boss in Stuttgart Thomas Bach – der ewige Präsident?

Ausdrucksstark: Thomas Bach beim Stuttgarter Sportgespräch Foto: Baumann

Der Chef des Internationalen Olympischen Komitees macht das Stuttgarter Sportgespräch zu seiner Bühne. Bach erklärt, warum das IOC so gut aufgestellt ist wie nie – und liefert Argumente für seine eigene Amtszeitverlängerung.

Wer auch immer ein Gespräch mit Thomas Bach (69) führt, einen kritischen Dialog oder gar ein Rededuell mit ihm anstrebt, der muss wissen, wen er da vor sich hat: einen Olympiasieger im Fechten, der immer noch ein Meister des Taktierens ist, Finten, Paraden und die Riposte beherrscht. Und der jederzeit in der Lage ist, einen Treffer zu setzen. Folglich war es keine große Überraschung, dass der prominente Gast das Stuttgarter Sportgespräch zu seiner Bühne machte, den Ton angab, seine verbale Stärke nutzte. Auch in eigener Sache.

 

Es ist noch kein Jahr her, da hatte der mächtigste Mann des Sports im Interview mit unserer Redaktion in absoluter Klarheit erklärt, dass er 2025 am Ende seiner zweiten Amtszeit als Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) abtreten werde – und sogar die Frage, was er danach tun werde, beantwortet: „Erst mal richtig ausschlafen.“ Mittlerweile? Hat sich gezeigt, dass er alles andere als amtsmüde zu sein scheint.

Thomas Bach: „Das ist inakzeptabel“

Seit 2013 ist Bach der Herr der Ringe. Er war dabei, als beschlossen wurde, dass ein IOC-Präsident nach acht Jahren nur einmal wiedergewählt werden darf, dann für weitere vier Jahre. In Stuttgart hat Bach, angesprochen auf die ukrainische Fechterin Olha Charlan, der er nach ihrer Disqualifikation bei der WM wegen eines verweigerten Handschlags mit einer russischen Kontrahentin überraschend einen Olympia-Startplatz für Paris 2024 garantiert hatte, nun erklärt: „Jede Regel kann gebrochen werden.“ Jede?

Zuletzt kam es bei der IOC-Vollversammlung im indischen Mumbai zu großen Sympathiebekundungen und teils bizarren Huldigungen („Ich liebe Sie, Herr Präsident!“), um Bach zum Bleiben über 2025 hinaus zu ermutigen, auch wenn dafür die Olympische Charta erneut geändert werden müsste. Viele Beobachter hielten das Ganze für eine wohlfeile Inszenierung. Ein Vorwurf, den Bach in Stuttgart auf Schärfste zurückwies: „Es ist typisch, dass dies hier insistiert wird. Das ist inakzeptabel.“ Er selbst („Ich bin auch nur ein Mensch“) habe sich über den Zuspruch gefreut, zugleich hätte es der „Respekt vor den IOC-Mitgliedern und den demokratischen Prinzipien“ unmöglich gemacht, die Aufforderung, die Satzung neu zu schreiben, „auf der Bühne in konfrontativer Art und Weise abzuwatschen“.

Thomas Bach freut sich auf „Spiele einer neuen Ära“

Allerdings hat Bach danach jede Gelegenheit verstreichen lassen, selbst für Klarheit zu sorgen. Es sollte also niemanden verwundern, wenn er sich die Argumente seiner Befürworter, ein Wahlkampf käme in den aktuell schwierigen Zeiten ungelegen, stattdessen sei Kontinuität an der Spitze nötig, zu eigen machen würde. „Letztlich“, sagte Bach beim Stuttgarter Sportgespräch, „wird es eine Entscheidung geben, die niemanden isoliert und in eine Ecke stellt-“ Und die ihn zum ewigen Präsidenten macht?

Ein paar Jahre mehr an der Spitze würden Bach womöglich auch deshalb gefallen, weil er das IOC bestens aufgestellt sieht. Die Olympischen Spiele 2024 in Paris werden die ersten sein, in der die von ihm initiierten Reformen greifen – in Sachen Nachhaltigkeit (95 Prozent der Sportstätten waren vorhanden oder werden temporär erbaut), Umweltfreundlichkeit, Urbanität, Geschlechtergerechtigkeit. „Es werden Spiele einer neuen Ära“, erklärte Bach, der dies auch über Mailand/Cortina 2026, Los Angeles 2028 sowie Brisbane 2032 sagen könnte. Weil es zudem für die Winterspiele 2030 und 2034 im nächsten Jahr wohl eine Doppelvergabe geben wird und es zugleich rund ein Dutzend Bewerber für die Sommerspiele 2036 gibt, von denen einige im Falle einer Nichtberücksichtigung bereits ihre Kandidatur für 2040 angekündigt haben, meinte Bach in Stuttgart: „Wir waren im IOC noch nie in einer derart guten Lage.“

Gesinnungsprüfung mit Hilfe der Ukraine

Warum also sollte er gehen – ausgerechnet jetzt? In einer Zeit, in der es nach den Coronaspielen von Tokio und Peking endlich wieder stimmungsvolle Sportfeste geben könnte. In einer Zeit, in der er das IOC fest im Griff und einen Großteil der Sportwelt hinter sich hat. In einer Zeit, in der er mächtiger denn je ist. Die Antwort wird es im nächsten Sommer geben, bei der nächsten IOC-Vollversammlung in Paris. Zuvor muss Bach allerdings noch ein Problem lösen.

Geht es nach ihm, dann dürfen bei den Sommerspielen 2024 Sportler aus Russland und Belarus trotz des Angriffskrieges gegen die Ukraine starten – als neutrale Athleten, ohne Flagge, Hymne sowie Teamkleidung – und nur, wenn sie nicht dem Militär angehören, außerdem dürfen sie den Krieg nicht aktiv unterstützt haben. Viele Fachverbände, die letztlich über die Zulassung zu entscheiden haben, folgen der Linie von Bach und dem IOC bereits, längst gibt es Szenarien, wie die (Gesinnungs-)Prüfung der Sportler ablaufen soll. „Es werden unabhängige Organisationen beauftragt, das findet auf verschiedenen Kanälen statt“, sagte Bach, „und am Ende werden sich die Fachverbände, was Informationen angeht, auf unsere ukrainischen Freunde sehr verlassen können.“ Folglich gibt es aus Sicht des IOC-Präsidenten keinen Grund mehr, Russland und Belarus von den Spielen 2024 auszuschließen: „Nach der engsten UN-Definition haben wir 28 Kriege auf der Welt. Die Mission des Sports ist, einen kleinen bescheidenen Beitrag zur Völkerverständigung zu leisten.“

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