Exklusiv Neuer Zoff zwischen Bahn und Land: Das Verkehrsministerium findet den Vertrag zum Nahverkehr weit überteuert – und behält viele Millionen Euro zurück. Womöglich zahle man sogar eine Milliarde zu viel, ergab eine interne Prüfung.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Zwischen der Deutschen Bahn und dem Land Baden-Württemberg bahnt sich nach Informationen der Stuttgarter Zeitung eine neue Kraftprobe an. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) verweigert der Bahntochter DB Regio Zahlungen in zwei- bis dreistelliger Millionenhöhe für den Schienenpersonennahverkehr im Südwesten. Seine Begründung: durch die bisher gewährten Entgelte würden Kostensteigerungen gleich doppelt ausgeglichen, was eine unvertretbare „Überkompensation“ darstelle.

 

Zugleich lässt Hermann den sogenannten großen Verkehrsvertrag mit der Bahn, der rund 40 Millionen Schienenkilometer umfasst und noch bis 2016 läuft, umfassend unter wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekten überprüfen. Erste Zwischenergebnisse deuten nach StZ-Informationen darauf hin, dass das Land jährlich 100 Millionen Euro zuviel zahlt; über die gesamte Laufzeit des 2003 geschlossenen Vertrages würde sich dies auf einen Milliardenbetrag summieren. Auch der Verkehrsclub Deutschland (VCD) kommt bei einem Vergleich mit Bayern zu dem Ergebnis, dass der Verkehrsvertrag mit dem Land um etwa eine Milliarde Euro zu teuer sei. Der VCD-Landeschef Matthias Lieb spricht von „signifikant überhöhten Entgelten“.

Schon 70 Millionen Euro einbehalten

Aktuell geht es bei dem Streit um die Frage, ob die Bahn zusätzlich zu dem Ersatz für tatsächliche Kostensteigerungen Anspruch auf eine pauschale Erhöhung um jährlich 1,5 Prozent hat. Das Verkehrsministerium verneint dies neuerdings und hat bereits etwa 70 Millionen Euro einbehalten; um 140 Millionen Euro sollen die Zahlungen insgesamt gekürzt werden. Auf Anfrage wollte sich das Ressort nicht äußern.

Die Bahn hält die Kürzungen für unbegründet. „Ein doppelter Ausgleich für Mehrkosten liegt nicht vor“, sagte ein Sprecher der StZ. „Die Deutsche Bahn bedauert das Vorgehen des Landes“, fügte er hinzu. Ob der Staatskonzern nun gegen das Land klagen wird, blieb offen. In diesem Fall will das Ministerium den milliardenschweren Verkehrsvertrag offenbar grundsätzlich in Frage stellen; dabei könne sich sogar dessen „Nichtigkeit“ herausstellen, heißt es.

Mappus bestreitet seine Unterschrift

Zu Zeiten des Vertragsabschlusses wurde das Verkehrsressort von Minister Ulrich Müller und Staatssekretär Stefan Mappus (CDU) geführt. Beide verteidigten den großen Verkehrsvertrag auf Anfrage als vorteilhaft für das Land. Ex-Ministerpräsident Mappus ließ seine Anwälte ausrichten, er habe den Vertrag „weder verhandelt bzw. verantwortet noch hat er ihn unterzeichnet“. Tatsächlich trägt der geheim gehaltene Kontrakt neben Müllers Unterschrift auch die von Mappus. Laut Müller war sein Staatssekretär für die zuständige Fachabteilung der „erste politische Ansprechpartner“. Gegenüber dem Landtag hatte Mappus einen doppelten Ausgleich für Kostensteigerungen einst nicht erwähnt.