Italiens Premierministerin schwenkt auf einen zunehmend populistischen Kurs ein. Sie sucht den Schulterschluss mit europäischen Rechtsaußenparteien.

Mit der Einführung einer Sondersteuer auf „Übergewinne“ der Banken hat Italiens Premierministerin Giorgia Meloni die Aktien der italienischen Banken kurz vor der Sommerpause auf Talfahrt geschickt. Nach hektischen Korrekturen beruhigte sich die Lage zwar. Doch Finanzwelt, Analysten, Investoren und Banken reagierten verärgert. Auch die Koalitionspartner, die nicht eingeweiht waren, übten Kritik.

 

Meloni, die in den ersten zehn Monaten ihrer Amtszeit mit einer eher moderaten Politik überrascht hatte, hat mit der Entscheidung viel Kredit verspielt. Sie will mit den Einnahmen aus der Strafsteuer Steuersenkungen finanzieren und Kreditnehmern helfen, die durch die steigenden Zinsen in Schwierigkeiten sind. Der Schuss könnte nach hinten losgehen, weil die dringend nötigen Investoren verprellt werden.

Bis zum Frühjahr ist Italien stärker gewachsen als die meisten EU-Partner. Doch im zweiten Quartal schrumpfte die Wirtschaft um 0,3 Prozent. In diesem Jahr dürfte sie noch um etwas mehr als ein Prozent wachsen. Für 2024 werden weniger als ein Prozent prognostiziert. Die Flüchtlingszahlen haben sich gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt, obwohl Meloni im Wahlkampf versprochen hatte, sie zu senken. Ihre hohen Zustimmungswerte könnten im Herbst, wenn sie den Budgetentwurf für 2024 vorlegt, zurückgehen, weil sie angesichts der Haushaltslage und der hohen Schulden von 144 Prozent des Bruttoinlandsprodukts viele ihrer Versprechen nicht erfüllen kann.

Inflation und hohe Zinsen

Francesco Giavazzi, der noch immer sehr einflussreiche Ex-Wirtschaftsberater Mario Draghis und inzwischen Professor an der Mailänder Universität Bocconi, glaubt, dass die Banken wegen der neuen Steuer ihr Geschäftsmodell umstellen und weniger in Staatsanleihen investieren könnten. Das wäre fatal, weil sie etwa ein Viertel der italienischen Staatsanleihen halten und die EZB den Aufkauf der Bonds eingestellt hat.

Die schlechte Situation beim wichtigsten Wirtschaftspartner Deutschland dämpft die Konjunktur. Inflation und hohe Zinsen tun ein Übriges: Die Nachfrage nach Krediten ist rückläufig. Die Kosten für die staatliche Schuldenaufnahme sind deutlich gestiegen. Allein 2023 muss Italien 80 Milliarden Euro für Zinszahlungen aufwenden. Die Steuereinnahmen fallen um 20 Milliarden Euro niedriger aus als erwartet. Zudem laufen staatliche Boni, die die Wirtschaft in der Pandemie am Laufen hielten und schon lange keine Berechtigung mehr haben, aus. Deren Kosten, allein die vollständige Übernahme der Kosten für die ökologische Sanierung von Wohnungen, belasten den Staatshaushalt mit 120 Milliarden Euro.

Die geplante Flat Tax ist nach Ansicht des Internationalen Währungsfonds (IWF) unsozial und nicht finanzierbar. Angesichts der demografischen Entwicklung ist auch die geplante Verlängerung großzügiger Vorruhestandsregelungen unrealistisch.

Doch bei den Ausgaben mag Meloni nicht sparen. Eine Ausnahme gibt es: Das Bürgereinkommen Reddito di Cittadinanza, eine Art Sozialhilfe, die vor allem Süditalienern zugute kommt. Zwar war schon länger geplant, dass das Bürgereinkommen abgeschafft werden soll. Doch dass die 160 000 Empfänger dies per SMS mitgeteilt bekamen, sorgte für heftige Kritik und Proteste.

Dabei hat Meloni in der Sache Recht. Die 2019 eingeführte Maßnahme kostete den Staat seither mehr als 30 Milliarden Euro, war aber ineffizient und lud zum Missbrauch ein. Künftig sollen Arbeitsfähige konkrete Jobangebote oder Weiterbildungen erhalten und diese auch annehmen müssen.

Meloni spielt ein gefährliches Spiel

Melonis Hoffnungen ruhen auf den 191,5 Milliarden Euro, die Italien aus dem europäischen Wiederaufbauprogramm erhalten soll. Doch die Gelder können wegen der komplizierten Bürokratie und fehlenden Personals nicht ausgegeben werden. Meloni hat die Pläne überarbeiten lassen wartet auf die Reaktion Brüssels.

Dass sie ausgerechnet jetzt gegen Brüssel und Frankfurt wettert, sorgt dort für Missmut, Verärgerung und Unverständnis. Meloni verknüpft ihre Zustimmung zur Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) mit europäischen Zugeständnissen bei der Bankenunion und mehr Flexibilität beim künftigen Stabilitäts- und Wachstumspakt.

Lucrezia Reichlin, angesehene Wirtschaftsprofessorin an der London Business School, hält dies für falsch: „Es ist klar, dass wir keine starke Verhandlungsposition haben.“ Und Francesco Giavazzi weist darauf hin, dass „die Umsetzung von Reformen das Herz des Aufbauprogramms sind“. Da aber liefere Rom nicht. Die Reformen der Justiz, des Wettbewerbsrechts, des Arbeitsmarktes und der Verwaltung würden nicht umgesetzt. Und die geplante Quasi-Steueramnestie widerspricht laut Giavazzi der eingegangenen Verpflichtung, die Steuerflucht zu bekämpfen.

Meloni spielt ein gefährliches Spiel. Im Hinblick auf die Europawahlen sucht sie Bündnisse mit dem ungarischen Autokraten Victor Orban, der rechtsnationalen polnischen Regierungspartei Pis und der rechtsradikalen spanischen Vox. Sie strebt eine rechte Mehrheit in Europa an – ohne Sozialisten und Sozialdemokraten.