Sie nannte Charles de Gaulle einen „Egomanen“: Fast 20 Jahre nach ihrem Tod zeigt ein unveröffentlichtes Interview eine andere Jackie Kennedy.

USA - Jackie Kennedy wäre zu Lebzeiten nie etwas Unpassendes über die Lippen gekommen, die glamouröseste First Lady im modernen Medienzeitalter war eine Meisterin der Etikette und der Haltung. Als Tochter eines Wall-Street-Tycoons vergaß sie niemals ihre blaublütige Erziehung - nicht im Weißen Haus und auch niemals danach.

 

Deshalb ist es durchaus ein Wagnis, dass ihre Tochter Caroline jetzt eine Serie von Interviews veröffentlicht, die Jackie Kennedy nur Monate nach der Ermordung ihres ersten Mannes, des Präsidenten John F., mit dem Historiker Arthur Schlesinger geführt hat.

Martin Luther King eine "Mogelpackung", Chruschtschow "grober Klotz"

Denn in den Interviews kommt eine andere Jackie zum Vorschein, als die, die wir zu kennen meinen. Eine, die redet, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, und die überaus dezidierte Vorlieben und Abneigungen hatte.

So hielt Jackie etwa den Bürgerrechtler Martin Luther King für eine "Mogelpackung" und einen "unerträglichen Heuchler", der zahlreiche außereheliche Affären hatte und sich noch am Grab ihres Mannes über seinen vermeintlichen Kampfgenossen in Rassenfragen lustig gemacht habe.

Den texanischen Vizepräsidenten und Präsidenten zur Zeit der Interviews, Lyndon B. Johnson, fand Jackie völlig ungeeignet, das Land zu regieren. Und Franklin Roosevelt, den Vorgänger ihres Mannes, der als der vielleicht größte Präsident des 20. Jahrhunderts gilt, nannte sie einen Scharlatan.

Mit Staatsmännern anderer Nationen ging Jackie auch nicht freundlicher um. Indira Ghandi bezeichnete sie eine "schrecklich prüde, verbiesterte Frau". Der französische Präsident Charles de Gaulle war für sie ein "unglaublicher Egomane", Chruschtschow einfach nur "ein grober Klotz".

Deutschen hätten Kennedy genervt

Die Deutschen kommen bei Jackie erst recht nicht gut weg, weil die ihren Mann zu Tode genervt hätten. JFK habe Adenauer als "verbitterten alten Mann" empfunden, der sich und seine deutsche Problematik viel zu wichtig nahm. Mit jeder Kleinigkeit sei er angerannt gekommen. "Was muss man denn noch tun, um den Deutschen klar zu machen, dass sie uns wichtig sind", zitiert Jackie ihren Mann. Ein Zitat, das der berühmten "Ich bin ein Berliner"-Rede eine deutlich andere Färbung gibt.

Wenn es darum geht, das Andenken ihres Mannes zu bewahren, ist Jackie Kennedy in den Interviews allerdings deutlich zurückhaltender. Es kommt nichts über ihre Lippen, was das Bild der perfekten Präsidentenfamilie gefährden könnte. Von Kennedys gesundheitlichen Problemen ist ebenso wenig die Rede wie von seinen aktenkundigen Seitensprüngen.

Die sorgsam gehegte Legende von Camelot, dem zauberhaften Hof des jungen Königs an der Pennsylvania Avenue, bleibt makellos. So liefert Jackie uns idyllische Bilder vom Präsidenten-Frühstück im Bett, bei dem er Lageberichte studiert, während die Kinder um ihn herumtollen. Wir erfahren so bedeutsame Details, wie dass Kennedy sich einen täglichen Mittagsschlaf im Pyjama zu genehmigen pflegte und dass er abends vor dem Zubettgehen betete. Eine Angewohnheit, die sie "süß" fand.

Nichts gefährdet das Familienidyll der Kennedys

Ihre eigene Rolle als First Lady war - ganz der Zeit gemäß - die der treu sorgenden Gattin, deren ganzes Streben dem Wohlbefinden ihres Mannes galt. "Ich habe versucht, im Haus eine entspannende Atmosphäre für Jack zu schaffen", sagt sie. Streit habe es niemals gegeben.

Die gerade entstehende Frauenbewegung war ihr fremd, sie glaubte, dass die extrem liberalen Frauen, die den Konkurrenten ihres Mannes, Adlai Stevenson, gewählt hatten, "vermutlich Lesben" waren. Sie wagte es nicht, eigene politische Ansichten zu haben, "ich hätte niemals für jemanden anderes gestimmt, als für die Person, die mein Mann für richtig hielt". Ihr Selbstverständnis als Frau glich dem "einer viktorianischen oder asiatischen Frau".

Doch das Bild der Geisha im Weißen Haus vermag nicht so ganz zu überzeugen. Es ist nicht anzunehmen, dass sie die ausgeprägten Meinungen, die sie Schlesinger gegenüber äußerte, ihrem Mann verheimlichte.

Und es ist ebenso wenig anzunehmen, dass diese Meinungen keinen Einfluss auf seine Entscheidungen hatten. Jackie Kennedy mag keine Hillary Clinton gewesen sein. Aber sie beschränkte sich ganz gewiss auch nicht darauf, ihrem Mann die Pantoffeln zu bringen.

Jacqueline Bouvier Kennedy-Onassis: "Gespräche über ein Leben mit John F. Kennedy". Hoffmann und Campe. 416 Seiten, 24,99 Euro.