Als sich General Augusto Pinochet 1973 in Chile an die Macht putschte, hatte das dramatische Auswirkungen. Das damalige Verhalten des Westens erklärt das bis heute anhaltende Misstrauen Lateinamerikas in die USA und Europa.

Der Tag, der Chile für immer verändert hat, begann mit einer militärischen Machtdemonstration: Kampfflugzeuge am Himmel, Rauchschwaden über dem Präsidentenpalast und Detonationen. Chiles Armee hatte sich entschieden, die demokratisch gewählte Regierung unter Präsident Salvador Allende aus dem Amt zu putschen. Es folgten jene Momente, die Allende unsterblich und zu einer Ikone der Linken machten: Noch aus dem Präsidentenpalast sprach er ein letztes Mal zur chilenischen Bevölkerung: „Es lebe Chile! Es lebe das Volk! Es leben die Arbeiter! Dies sind meine letzten Worte. Ich bin mir sicher: Dieses Opfer wird nicht sinnlos sein.“ Dann erschoss sich Allende, um den Militärs nicht in die Hände zu fallen und sein politisches Vermächtnis zu retten. Danach übernahm General Augusto Pinochet die Macht, den Allende kurz vor dem Staatsstreich noch zum Oberbefehlshaber des Heeres ernannt hatte.

 

Staatsakt erinnert an Staatsstreich

Am Sonntag wird ein Staatsakt an den 50. Jahrestag des Staatsstreiches vom 11. September 1973 erinnern. Die Deutung über die damaligen Ereignisse ist in Chile bis heute umstritten. Chiles Rechtskonservative sehen die Zeit Allendes als eine Vorstufe zur Errichtung einer marxistischen Diktatur.

Unbestritten ist allerdings, dass die dann folgende Pinochet-Ära durch schwere Menschenrechtsverletzungen geprägt war: Heute vorliegende Zahlen gehen von 2095 Ermordeten oder Hingerichteten, 1102 spurlos Verschwundenen, rund 250 000 ins Ausland geflohenen und mehr als 27 000 politischen Gefangenen und Folteropfern aus. Die spätere chilenische Präsidentin Michelle Bachelet, die auch UN-Menschenrechtskommissarin wurde, floh in die damalige DDR. Zu dem tödlich-brutalen Erbe der Pinochet-Ära trugen auch ehemalige Nationalsozialisten mit, die nach Chile geflohen waren. Hinzu kam die Geschichte des 2010 verstorbenen deutschen Sektenführers Paul Schäfer, der sich zum Handlanger Pinochets Folterschergen machte. Im Gegenzug ließ das Regime Schäfer auf seiner auf dem Land liegenden Farm gewähren: Sexueller Missbrauch, Ausbeutung und brutale Gewalt prägten das Sektenleben. Die Pinochet-Ära ist das gesellschaftlich dunkelste Kapitel der jüngeren chilenischen Geschichte, darüber kann auch die wirtschaftliche Erholung unter Pinochet, der bis 1990 an der Macht blieb, nicht täuschen.

Washington unterstützte den Diktator

Hinter den Kulissen war Chile längst zum Spielball des kalten Krieges geworden. Die USA sahen durch den Marxisten Allende ihre Felle davon schwimmen, fürchteten die Einflussnahme der Sowjetunion. Ein Szenario wie Fidels Castros Kuba wollten sie unbedingt verhindern. Also schaute Washington weg, als Berichte über Mord und Folter durchdrangen. Washington hatte sich für Pinochet entschieden. Die CIA arbeitete mit Pinochets Schergen zusammen und verlängerte so die Lebensdauer der Diktatur.

Ein Fakt der bis heute nachwirkt. Dass die damaligen US-Regierungen nicht nur die brutalen rechten Militärdiktaturen in Lateinamerika anerkannten, sondern sie bisweilen auch aktiv geheimdienstlich unterstützten, hat tiefes Misstrauen in Region gesät. Das erklärt, warum heute der russische Angriffskrieg auf die Ukraine von der lateinamerikanischen Linken anders bewertet wird, als es der Westen tut. Der Westen hat in diesem Teil der Welt keinen guten Ruf.

Linker Boric kritisiert Linksdiktaturen

Interessanterweise ist es ausgerechnet der amtierende sozialistische chilenische Präsident Gabriel Boric, der hier eine andere Meinung als die lateinamerikanische Linke vertritt: „Wir müssen Menschenrechtsverletzungen dort verurteilen, wo sie passieren. Egal von wem sie begangen werden“, fordert er. Boric kritisiert als einziger Linker in Lateinamerika offen die heutigen Linksdiktaturen Kuba, Venezuela und Nicaragua und verurteilt auch den russischen Angriffskrieg.