An der Uni Stuttgart findet die Jahrestagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft statt. Forscher überbieten sich mit immer präziseren Experimenten.

Stuttgart - Wenn es um die Genauigkeit von Messungen geht, ist Theodor Hänsch nur schwer zu übertreffen. 2005 hat der Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München einen Teil des Nobelpreises für Physik dafür bekommen, dass er den „Frequenzkamm“ entwickelt hat. Mit seiner Technik lassen sich Lichtfrequenzen mit einer Genauigkeit messen, die bis dahin als unerreichbar galt. Gestern war der 70-Jährige Festredner bei der Jahrestagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG), die in dieser Woche die Hörsäle der Universität Stuttgart füllt. Hänschs Vortrag eröffnete einen Festakt, in dem Preise verliehen wurden und Preisträger in vier Vorträgen über ihre Arbeit berichteten.

 

Hänsch erzählte, dass das erste Exemplar des Frequenzkamms inzwischen im Deutschen Museum in München steht – und dass sein Team mit einer Weiterentwicklung des Geräts in einen Wettbewerb mit bisher existierenden Präzisionsuhren bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) getreten ist. Über ein 920 Kilometer langes Glasfaserkabel zwischen Braunschweig und Garching habe man die Garchinger Technik mit existierenden optischen Uhren verglichen. Das Ergebnis: Garching war besser.

Zwei junge Forscher aus Hänschs Gruppe waren unter den Preisträgern, die der Präsident der DPG, Wolfgang Sandner, während des Festaktes geehrt hat. Randolf Pohl und Aldo Antognini nahmen aus Sandners Händen den Gustav-Hertz-Preis der DPG entgegen. Die beiden hatten Schlüsselfunktionen in einer internationalen Forschergruppe, die das Proton, einen der Bausteine der Atomkerne, neu und, natürlich, viel genauer als bisher vermessen hat und dabei zu dem unerwarteten Ergebnis kam, dass der Durchmesser dieses Atombausteins etwa vier Prozent kleiner ist als bisher gedacht. (Die StZ hat darüber berichtet.) Hänsch spricht vorsichtig noch von einem „Protonenrätsel“. Weitere Messungen seien geplant.

Einstein wollte es nicht glauben

Ein weiterer Physikerpreis ging an den Franzosen Alain Aspect vom Institut d’Optique in Palaiseau, Frankreich. Aspect ist in den achtziger Jahren bekannt geworden, weil er in einem raffinierten Experiment eine Frage beantworten konnte, die Albert Einstein zusammen mit Boris Podolski und Nathan Rosen aufgeworfen hatte und die deshalb als EPR-Gedankenexperiment bekannt ist. Demnach können Quantenteilchen „verschränkt“ sein, das heißt, manche ihrer Eigenschaften haben sie gemeinsam. Was man an dem einen Teilchen beobachtet, hängt damit zusammen, was man an dem anderen beobachtet, selbst dann, wenn sie keinerlei klassische, anschauliche Verbindung zueinander haben. Einstein wollte das nicht glauben, weil es der klassischen Physik widerspricht. Doch Aspect hat nachgewiesen, dass in der Quantenwelt andere Regeln gelten.

In Stuttgart berichtete er über einen weiteren verblüffenden Effekt der Quantenwelt, an dem er gerade forscht. In jedem elektrisch leitenden Metall gibt es eine Unordnung, die den elektrischen Strom zwar behindert, aber nicht verhindert. Erhöht man aber die Unordnung, dann hört die elektrische Leitfähigkeit oberhalb einer bestimmten Schwelle vollkommen auf. Die Elektronen, so Aspect, scheinen so oft miteinander und mit Störungen zusammenzustoßen, dass sie immer wieder an ihren Ausgangspunkt zurückgeworfen werden. Man nennt diesen Effekt Anderson-Lokalisierung. Theoretisch könne die Physik den Effekt bis jetzt nicht erklären, berichtete er; es gebe über die möglichen Erklärungen einen regelrechten Kampf unter Physikern. Aspect und seinen Mitarbeitern sind Experimente gelungen, deren Ergebnisse, so der Forscher vorsichtig, „schwer zu erklären sind, wenn es nicht Anderson-Lokalisierung war“. Er hofft, die Experimente könnten die Theoretiker weiterbringen bei der Erklärung des Effekts.

Nur noch ein Atom pro Bit?

Ohne die rätselhafte Verschränkung von Quanten würde auch kein Quantencomputer funktionieren. Die Verschränkung ist geradezu der Clou dieser neuen Computertechnik, an der mit besonderen Erfolgen die Physiker an der Universität von Innsbruck arbeiten. Einer von ihnen ist Rainer Blatt. Er erhält Ende März auf einer weiteren Tagung der DPG in Berlin die Stern-Gerlach-Medaille der Physikervereinigung. In Stuttgart berichtete er dem Fachpublikum über die Fortschritte seiner Arbeitsgruppe. Seinen Vortrag eröffnete er mit einer optimistischen Anekdote: Computerexperten berufen sich gerne auf die Behauptung des Mitbegründers der Firma Intel, Gordon Moore, die Leistung der Computer verdoppele sich alle 18 Monate. Blatt hat dies darauf umgerechnet, wie viele Atome der Computer pro Bit braucht, das heißt, wie dicht die Schaltungen in den Chips gepackt sind. Nach Moores Regel müsste demnach die Technik im Jahr 2017 dort angekommen sein, dass für ein Bit nur noch ein Atom gebraucht wird.

Das diente ihm als launige Überleitung zum Quantencomputer. Der füllt, das zeigten Blatts Fotos, in Innsbruck bis jetzt noch einen ganzen Raum, ist also von der erhofften Größe noch weit weg. Vorteil des Rechnens mit Quanten ist, dass bestimmte, häufig benötigte Prozeduren von einem Computer, der die Verschränkung von Quantenbits (Qubits) nutzt, deutlich schneller erledigt werden können. Dazu gehört laut Blatt auch die Suche in Datenbanken. Den Innsbruckern ist es inzwischen gelungen, 14 Atome über eine Strecke von 70 Mikrometern zu verschränken und damit den bisher größten verschränkten Zustand herzustellen. Blatt ist zuversichtlich, dass der Quantencomputer auf jeden Fall zur Quantensimulation eingesetzt werden kann, das heißt, dass man damit andere Quantensysteme simuliert, die experimentelle schwerer zugänglich sind und schlecht vermessen werden können.

An der Uni Ulm forscht Martin Plenio, der später in diesem Jahr den Max-Born-Preis erhalten wird. Auch seine Forschung bewegt sich in der Welt der Quanten. Er interessiert sich dafür, wo in der Welt der Biologie Quanteneffekte zu beobachten sind. Plenio berichtete über drei Felder, auf denen in der Biologie Dinge geschehen, die mit der klassischen Physik nicht erklärt werden können: die Fotosynthese, der magnetische Orientierungssinn der Vögel und das Riechen.

DPG-Präsident Wolfgang Sandner betonte, ohne die Physik lasse sich die Welt nicht verstehen, und wer sich damit brüste, von Physik nichts zu verstehen, wolle die Welt nicht wirklich verstehen. Er hob die Bemühungen der DPG um den wissenschaftlichen Nachwuchs hervor. „Wir sind aber oft nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, klagte er und verwies auf den Mangel an Physiklehrern an Schulen und schlechte Aufstiegschancen an den Universitäten. Den jungen Studenten empfahl er dringend, sich nicht mit einem Bachelor-Abschluss zu begnügen, sondern weiterzugehen zum Master. „Der Bachelor scheint uns derzeit in der Industrie nicht akzeptiert zu sein“, erklärte Sandner.

Zur Entspannung hatte der Leiter der Tagung, der Stuttgarter Physiker Tilman Pfau, das Böblinger Percussionsduo Jogi Nestel und Klaus Küting eingeladen. Die beiden lösten in dem mit überwiegend jungem Publikum besetzten Hörsaal Begeisterungsstürme aus, als sie, ganz ohne quantenphysikalische Hilfe, aus einem gewöhnlichen Zementmischer die Musik eines ganzen Stückes hervorlockten.