Wenn Günther Jauch am Sonntag wieder mit seiner Talkshow startet, ist der Marathon bald wieder komplett. Fünf ARD-Talkshows an fünf aufeinander folgenden Tagen: nicht nur den Senderchefs ist das Dauergerede mittlerweile „zu viel vom selben“.

Stuttgart - Wenn Günther Jauch am Sonntag mit seinem Polittalk auf den Bildschirm zurückkehrt, liegen zehn Wochen Sommerpause hinter ihm – das klingt nach einem Arbeitsverhältnis zu Konditionen, von denen durchschnittliche Arbeitnehmer heute nur träumen können. Allzu entspannt dürfte die Zeit der Fernsehabstinenz für den nach wie vor äußerst beliebten Moderator allerdings nicht gewesen sein. Kaum hatte sich Jauch in den Urlaub verabschiedet, druckte der „Spiegel“ eine Geschichte, in der das Nachrichtenmagazin aus einem ARD-internen Papier zitierte, worin mit den Gesprächsrunden des Ersten abgerechnet wurde. Kritisiert wurde vor allem Jauchs sonntäglicher Plausch im Berliner Gasometer – und das in einem selbst für die harte ARD, die schon bei Gottschalk kein Pardon kannte, noch bemerkenswert schroffen Ton.

 

In den folgenden Wochen flammte die Diskussion über die Formate, die ohnehin schon schwelt, seit von Sonntag bis Donnerstag durchgetalkt wird, erneut auf. Kein Wunder, denn was in dem Papier zu lesen war, musste den Vergleich mit den Ausfällen notorischer TV-Kritiker nicht scheuen. Im allgemeinen Teil hieß es, dass die Talkshows „zu viel vom selben“ bieten und ihre „Gäste verschleißen“ würden. Zur Sache ging es in der Einzelkritik: Bei Anne Will gebe es „immer wieder Sendungen mit wenig Erkenntnisgewinn“, Sandra Maischberger müsse „bei der Auswahl skurriler Gäste“ aufpassen, und Frank Plasberg sei zu „soft“. Das schlechteste Zeugnis bekam ausgerechnet der im vergangenen Jahr als Hoffnungsträger verpflichtete Jauch. Dieser hake bloß „eine Frage nach der anderen ab“, und die Diskussionen unter seiner Leitung würden nur „selten ergebnisoffen“ verlaufen. Mehr noch: Günther Jauch, der angeblich über zehn Millionen Euro jährlich für seine Show erhält, betreibe „Stimmungsmache“ und schüre „mit seinen Suggestivfragen teilweise Politikverdrossenheit“.

Das interne ARD-Papier freilich war eine Steilvorlage für externe Kritiker. Zwar gab es in der öffentlichen Diskussion vereinzelt Versuche, die Talkshows gegen ihren schlechten Ruf zu verteidigen, aber es überwog doch die Einschätzung, dass fünf Gesprächsrunden pro Woche mindestens eine zu viel sind. Mindestens. Der Journalist Henryk M. Broder, für polemische Zuspitzungen bekannt, verspottete Ursula von der Leyen und Heiner Geißler, die in dem ARD-Papier als Talkshow-Dauergäste aufgeführt werden. Er bezeichnete sie als „Politwanderhuren“ und forderte rundweg: „Schafft die Talkshows ab!“

Die Zeit der Ehre ist vorbei

Wie schlecht der Ruf dieser Sendungen ist, zeigte sich zuletzt in diesen Tagen, als der Schriftsteller Richard David Precht verlauten ließ, sein Rekord liege bei jährlich fünf Auftritten in TV-Gesprächsrunden, sein Image als Dauergast sei daher nicht gerechtfertigt. Anders gesagt: zu „Anne Will“ oder „Beckmann“ eingeladen zu werden ist mittlerweile nicht unbedingt mehr eine Ehre. Deshalb ist auch absehbar, dass die ARD-Intendanten, wenn sie im Herbst über die Zukunft der Plauderrunden beraten, mindestens einen Moderator in die Wüste schicken werden.

Pauschalisierungen à la Broder sind dennoch nur wohlfeile Versuche, die eigene Position gegenüber dem vermeintlich nur oberflächlichen medialen Geschwätz zu profilieren. Überhaupt spielt die Dauerkritik an den Öffentlich-Rechtlichen denjenigen in die Hände, denen es am liebsten wäre, wenn das staatlich finanzierte Fernsehen künftig eine deutlich kleinere Rolle spielen würde als heute – getreu dem Mantra, dass privatwirtschaftliche Akteure auch im Medienbereich noch am ehesten für Qualität sorgen würden, ließe man nur den vollkommen freien Wettbewerb zu. Dabei zeigt ein Blick auf die Nachrichtenformate von RTL sowie der Vergleich mit Ländern, in denen die Meinungsbildung von Privatsendern dominiert wird, dass man über Qualität und Stellenwert der Nachrichtensendungen und Talkshows in ARD und ZDF eigentlich nur froh sein kann. Man denke nur an den US-Kanal Fox: manipulative Meinungsmache zum Davonlaufen.

Statt einer Generalabrechnung mit ARD und ZDF sollte deshalb Kritik im Einzelnen geübt werden. Dann würde man auch sehen, dass manche Sendungen gelingen, etwa jene am vergangenen Dienstag, als bei Maischberger über die Beschneidungspraxis von Juden und Muslimen diskutiert wurde. Die Talkgäste schafften es, die Vielschichtigkeit des Problems, bei dem sich rechtliche, politische, religiöse und medizinische Fragen überlagern, adäquat abzubilden – auch wenn in Necla Kelek eine notorisch zu Vereinseitigungen neigende „Islamkritikerin“ an der Runde teilnahm. Darüber hinaus gestaltete sich das Ganze überaus unterhaltsam, etwa als ein Arzt, der seit 35 Jahren Beschneidungen durchführt, die männliche Vorhaut als „Unterhosenfusselsammelstelle“ bezeichnete. Und es war intellektuell anregend, als ein anderer Arzt – ihm war offenkundig die Rolle zugedacht, die sachbezogene Sicht der Medizin zu verkörpern – in ein quasitheologisches Denken abdriftete und darüber sinnierte, dass „die Natur“ nichts Zweckloses am menschlichen Körper installiert habe.

Das Handzahme greift um sich

Trotzdem gibt es natürlich viel am deutschen Talkwesen zu bemängeln, etwa die regelmäßigen und teilweise bizarren Befragungen von Helmut Schmidt eben durch jene Sandra Maischberger. Hier wird unkritisch der Selbstinszenierung eines greisen Politikers mit einer durchaus streitbaren Lebensleistung aufgesessen, der zunehmend Gefallen daran findet, sich als über den Verhältnissen schwebenden Geostrategen zu profilieren. Zudem sind handzahme Reaktionen auf Politikerphrasen, die im ARD-Papier vor allem dem einst unerschrockenen Frank Plasberg zugeschrieben werden, auch bei seinen Kollegen verbreitet. Dass es auch anders geht, zeigt der in der Öffentlichkeit leider unbeliebte Michel Friedmann. Immer wieder führt er vor, dass man als Moderator auch mal schwere Geschütze auffahren kann, vorausgesetzt, man verfügt über die entsprechenden rhetorischen, intellektuellen und journalistischen Fähigkeiten – womit wir wieder bei Günther Jauch wären, dem millionenschweren Medienunternehmer. Wenn der ARD-Programmbeirat nun bemerkt, dass der Moderator immer wieder seine journalistische Sorgfaltspflicht vernachlässige, erstaunt daran allein der Zeitpunkt der Feststellung. Hätte man vor der Verpflichtung von Jauch nicht mal einen kurzen Blick auf die von ihm moderierte Boulevardsendung „Stern TV“ werfen können?

Bundestagspräsident Norbert Lammert übrigens beklagte schon im März 2011, dass Fernsehtalkshows politische Debatten nur „simulieren“ würden; auch Broder spricht vom „Fernsehen als Bedeutungssimulator“. Tatsächlich ist die These reizvoll, dass die Talkshowschwemme nur das widerspiegelt, was in der Soziologie unter dem Schlagwort „Postdemokratie“ diskutiert wird, dass nämlich zunehmend politische Prozesse nicht mehr demokratisch entschieden, sondern von vermeintlichen Sachzwängen gesteuert und durch Technokraten durchgesetzt werden. So gesehen wären Talkshows nichts anderes als ein Surrogat, das durch seine Omnipräsenz über den Verlust politischer Gestaltungspotenziale hinwegtäuscht. Allein: wenn man die Verhältnisse, auch die politischen, zum Besseren ändern möchte, sollte die Abschaffung der Talkshows nicht die erste Stelle auf der Tagesordnung einnehmen. Manche sieht man ja doch ganz gerne.