Auch am zweiten Tag gab es bei Jazz Open eine Überraschung – nicht im Alten Schloss bei der säuselnden Sanges-Lady Melody Gardot, sondern im Bix bei den grandiosen Musik-Anarchisten Tankus the Henge.
Bernd Haasis
15.07.2023 - 12:43 Uhr
Ein großer Auftritt verlangt Verzögerung: Der Pianist Philippe de Aquino und der Saxofonist Irwin Hall Jr. lassen afrikanische Saiteninstrumente vibrieren, der Perkussionist Jorge Bezerra wirbelt über die Congas – als wären sie eigentlich fürs Festival der Kulturen gebucht. Dann aber erscheint die Protagonistin des Abends, hochhackig und im eleganten schwarzen Hosenanzug: Melody Gardot, US-amerikanische Sängerin und polyglotte Musikweltbürgerin.
Sie singt auf Portugiesisch, Englisch und Französisch, als wäre das ganz selbst verständlich. Und sie beherrscht die Kunst des bedeutungsvollen Vortrags – mit ihren Standards könnte sie wohl jederzeit ein Dauerengagement in Las Vegas bekommen.
Wunderschöne Chansons
Très romantique intoniert sie ihren „Love Song“. Bei den Soli schnippt Melody Gardot im Takt mit, und die 1200 im Innenhof des Alten Schlosses machen sofort mit. Später wird „Our Love is Easy“ folgen mit einem Saxofon-Solo in Superzeitlupe, „This foolish Heart“ und „If the Stars Were Mine“. Das ist durchaus gehaltvoll und noch Jazz, aber leicht genug, um alle mitzunehmen.
Ihr aktuelles Album „Entre eux Deux“ hat Gardot in Paris aufgenommen, eine Liebe zum Chanson pflegt sie schon lange. Mit ihrem Pianisten singt sie im Duett „C’est magnifique“, und sie säuseln einander an, wie es die Form verlangt. Hall spielt dazu Querflöte und lässt die Töne ums Gemäuer flirren. Die 38-Jährige wird auch „Les Etoiles“ singen, ein wunderschönes Chanson, das sie schrieb, als sie mit 25 zum ersten Mal in der französischen Hauptstadt war und sich in sie verliebte.
Gardot entführt an die Copacabana
Der Klavierpart des Titels „Obstinada“ habe ihr so gut gefallen, dass sie ihn instrumental lassen wollte, sagt Gardot – und überlässt ihren Musikern die Bühne. Die entwickeln das Klassik-inspirierte Stück behutsam, steigern es zum polyrhythmischen Klangbad.
De Aquino, halber Brasilianer, stimmt eine Nummer seines musikalischen Vaters an: „Samba em Preludio“, ein weiteres Duett, klingt ebenso nach Copacabana wie im Anschluss Caetano Velosos „Corazao Vagabundo“. Die Gardot kann das wie einst Astrud Gilberto – nur dass sie noch eine Spur stärker haucht und säuselt.
Wilde Party im Bix
Während der gediegene Musikabend im Alten Schloss so sanft ausklingt , wie er begonnen hat, ereignet sich im Jazzclub Bix eine kleine Sensation: Die hierzulande unbekannte Londoner Band Tankus the Henge zettelt eine wilde Party an.
Tankus the Henge am Freitag im Bix Foto: Opus/Wolf-Peter Steinheißer
Der Club ist komplett unbestuhlt und rappelvoll, 210 Leute feiern einen Sound, den man so noch nicht gehört hat: Das Sextett auf der Bühne sieht aus wie eine Gang aus einem Indie-Film der 70er und klingt auch ein bisschen wie die Bands von damals, mischt dabei aber auf unerhörte Weise Funk, Rock, Soul und Oldtime Jazz.
Immer 150 Prozent
Der knarzstimmige Sänger Jaz Delorean gehört zu denen, die immer 150 Prozent geben. Mit Leib und Seele ist er im Moment, in der Musik. Er hämmert im Stehen auf ein Digitalpiano ein, das in der kippbaren Hülle eines alten Klaviers versteckt ist.
Nicht minder agil ist der Saxofonist Joao Mello, Mitte der Zehnerjahre in der Tourband von David Gilmour, die auch bei Jazz Open auf dem Schlossplatz gastierte. Er soliert immer mit vollem Adrenalinpegel und singt voller Inbrunst zweite Stimmen. Der Drummer Joao Taborda treibt alles wirbelnd voran, ohne je nachzulassen.
Die wilde Musikmischung ist komplex wie einst bei Frank Zappa, abrupt und bruchlos wechseln Tankus the Henge ständig das Genre und bieten zugleich eingängige Hooklines zum Mitsingen: „You Can Do Anything at All“ schmettern alle im Chor. Ja, tun können, was man möchte – das wäre was.
„We’re Tankus the Henge from London“, ruft Delorean zum Schluss, als das Bix kocht und die Leute die Band gar nicht gehen lassen wollen – „forever European. Fuck Brexit!“. Ein perfektes Schlusswort für einen perfekten Abend. Am 21. Juli spielen Tankus the Henge nochmals beim Festival, als Vorband auf der großen Schlossplatzbühne.
Der Abend im Bix hinterlässt eine starke Erkenntnis: Es gibt in der Popularmusik doch noch Phänomene, die wirklich neu sind.
Jazz Open am Sonntag
Marco Mezquida Die Matinee des katalanischen Pianisten um 11 Uhr im Kunstmuseum ist eintrittsfrei.
Branford Marsalis &Z Arturo Sandoval Dias Konzert der Jazz-Stars am Abend im Alten Schloss ist restlos ausverkauft.