Schon wieder soll im Jemen ein Mädchen nach dem Geschlechtsverkehr mit ihrem Ehemann gestorben sein. Im Interview mit Martin Gehlen schildert die jemenitische Ministerin, Horia Mashhoor Ahmed, wie schwer der Kampf gegen die Kinderbräute ist.
17.09.2013 - 13:32 Uhr
Sanaa – - Der Fall der achtjährigen Rawan aus dem Jemen, die nach brutalem Geschlechtsverkehr mit ihrem 40-jährigen Ehemann qualvoll verblutet sein soll, hat vergangene Woche weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Zwar streiten die Behörden und die Familie den Tod des Kindes nach wie vor ab. Doch die EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton hat die Behörden im Jemen aufgefordert, den Fall umgehend strafrechtlich zu untersuchen. Die Zwangsverheiratung minderjähriger Mädchen ist in dem Land weit verbreitet. Horia Mashhoor Ahmed, die jemenitischen Ministerin für Menschenrechte, will solche Ehen seit Jahren gesetzlich verbieten lassen. Im Interview schildert sie, wie zermürbend ihr Kampf für das Heraufsetzen des Mindestalters für Hochzeiten auf 17 Jahre ist.
Was wissen Sie über das Schicksal der achtjährigen Rawan?
Nachdem ich von dem Fall gelesen habe, habe ich einen Vertrauten in die Gegend geschickt, um die Wahrheit herauszufinden. Er hatte den Eindruck, dass die Leute vor Ort etwas vertuschen wollen. Niemand wollte ihm Auskunft geben, die Polizei streitet alles ab. Fest steht, dass die Hochzeit der achtjährigen Rawan stattgefunden hat – aber nicht in dem Heimatdorf der Familie, sondern in einem anderen Dorf. Es ist gut, dass das Schicksal von Rawan so große internationale Aufmerksamkeit findet. Auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton hat an Jemens Regierung geschrieben und Aufklärung verlangt.
Was muss geschehen?
Zunächst müssen wir die Täter finden und zur Verantwortung ziehen. Dann müssen wir endlich ein Mindestheiratsalter von 17 Jahren für Mädchen in unseren Gesetzen verankern und tatsächlich durchsetzen. Ich habe heute erneut an den Generalstaatsanwalt geschrieben und ihn aufgefordert, mit Nachdruck zu ermitteln. Und ich habe an den Parlamentspräsidenten geschrieben, das Thema wieder auf die Tagesordnung zu setzen.
Warum ist bisher nichts geschehen?
Seit über zehn Jahren versuchen wir, auf Regierung und Parlament Druck auszuüben, diesen Missstand zu beheben. Die Herrschaften haben das immer wieder versprochen, zuletzt in den Jahren 2009 und 2010, und dann doch nichts getan. Begründung war, man müsse das Thema noch eingehender diskutieren. In Wirklichkeit wollen sie dieses Gesetz einfach nicht in Kraft setzen. Aber der Druck, auch der internationale Druck, steigt und wird uns helfen. Nächstes Jahr haben wir Neuwahlen und hoffen, dass es dann endlich klappt. Der Südjemen hatte ein solches Gesetz, das wurde 1998 im Zuge der Wiedervereinigung mit dem Norden gestrichen. Und so ist der Jemen heute zusammen mit Saudi-Arabien das einzige muslimische Land auf der Welt, in dem minderjährige Mädchen nach wie vor straflos verheiratet werden dürfen.
Welche Dimensionen hat dieser Missstand im Jemen? Nach Angaben der Unesco heiraten 14 Prozent der Mädchen im Alter unter 15 Jahren, 52 Prozent im Alter unter 18 Jahren.
Es ist ein sehr großes Problem, vor allem auf dem Land. Manchmal werden Mädchen, wie Rawan, bereits mit acht oder neun Jahren verheiratet. 70 Prozent des Jemen sind ländliche Gebiete, dort lebt ein Viertel der Bevölkerung. Die Menschen haben keinen Zugang zu Bildung. Sie denken sehr einfach und traditionell. Für Kinderhochzeiten gibt es zwei Gründe. Der eine Faktor sind religiöse Extremisten, die mit Berufung auf den Islam dafür plädieren. Sie sind vor allem von Saudi-Arabien beeinflusst. Der viel größere Faktor aber ist die Armut. Die Familien sind bitterarm und wollen ihre verzweifelte Lage durch den Brautpreis für ihre kleinen Töchter verbessern. Andere verkaufen ihre Kinder, Jungen und Mädchen, an Menschenhändler. Die meisten werden nach Saudi-Arabien verschleppt, wo sie ausbeutet und misshandelt werden.
Was kann die Regierung tun?
Die Armut ist enorm weit verbreitet, viele Menschen sind zudem noch unterernährt. Hier müssen wir helfen, hier brauchen wir auch die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Gleichzeitig müssen wir das Bewusstsein schärfen, dass Kinderehen für die Mädchen ein hohes gesundheitliches Risiko bedeuten. Auch müssen wir den Eltern klarmachen, dass ihre Töchter genauso ein Recht auf Schulbindung haben wie ihre Söhne. Alle Mädchen sollten zumindest die allgemeine Schulausbildung absolvieren haben, dann sind sie 16 Jahre alt. Und wir dürfen nicht locker lassen, bis das Parlament im Jemen endlich ein Mindestheiratsalter verabschiedet.