Für ihre Leistungen zur europäischen Einigkeit erhält Jettingen die Europafahne. Seit 1992 steht die Gemeinde mit Senones in Frankreich in einem regen Austausch. Das Besondere: ein ehemaliger Kriegsgefangener hat die Partnerschaft initiiert.

Jettingen - Gleich neben dem Europadiplom, das seit 2007 das Jettinger Rathausfoyer ziert, soll die Europafahne als weitere Auszeichnung für die Leistungen der Gemeinde im Sinne des europäischen Einigungsgedankens ausgestellt werden. „Dort ist sie für jeden gut sichtbar“, sagt Hans-Michael Burkhardt, der sich schon auf das gute Stück freut. Doch der Bürgermeister wird sich – selbst verschuldet – noch gedulden müssen.

 

Denn für die Übergabe der Fahne hat er sich einen besonderen Tag ausgesucht: den 16. November, den diesjährigen Volkstrauertag. Der Termin soll daran erinnern, dass vor 100 Jahren der Erste Weltkrieg ausgebrochen ist. Das wird sicherlich ein emotionales Ereignis, vor allem für die Gäste aus der französischen Partnerstadt Senones. „Als Frontstadt war sie im Ersten Weltkrieg besonders betroffen und hatte auch im Zweiten Weltkrieg stark unter den Gräueltaten der Gestapo zu leiden“, sagt Burkhardt über die lothringische Kommune, die 1944 in Trümmern lag. Viele ihrer Einwohner wurden zur Vergeltung für Aktionen französischer Widerstandskämpfer in Konzentrationslager verschleppt.

Zähes Ringen führt zum Erfolg

Umso erstaunlicher ist der rege und freundschaftliche Austausch zwischen Jettingen und Senones – vor allem sein Zustandekommen. „Ein Kriegsgefangener, der auf dem Hof einer Jettinger Landwirtsfamilie arbeiten musste, setzte sich nach seiner Rückkehr in die Heimat dafür ein.“ 1992 hatte sein Ringen Erfolg. Senones schloss mit Jettingen Freundschaft. Doch was auf dem Papier stand, war noch längst nicht in den Köpfen und Herzen der Menschen angekommen. „Bei den ersten Besuchen in Senones gab es viele Vorbehalte und eine große Abneigung gegenüber Deutschen, zum Teil gar Hass“, so Burkhardt. Davon sei heute nichts mehr zu spüren.

Um daran zu erinnern und den „Riesenvorteil“, den Frieden, den die Europäische Union den Menschen bringt, bewusst zu machen, habe man sich um die Europafahne beworben. Zudem sei die Auszeichnung natürlich eine gute Gelegenheit, „das, was wir seit vielen Jahren für die Partnerschaft machen, nach außen zu tragen“. Denn neben Senones ist Jettingen seit 2001 auch mit Vernio verbunden, der Partnerstadt Senones’ in der Toskana.

Auch Aspach bekommt eine Ehrenfahne

Doch Jettingen ist nicht die einzige Gemeinde in der Region Stuttgart, die sich bald mit einer Europafahne schmücken darf: Auch Aspach im Rems-Murr-Kreis bekommt eine für seine Partnerschaft mit Chemillé-Melay. Außergewöhnlich ist in diesem Fall weniger das Zustandekommen – sie entstand eher klassisch über Schüleraustauschprogramme des Partnerschaftsvereins Aspach-Chemillé –, sondern die äußert regen Aktivitäten, bei denen mitunter bis zu 200 Personen starke Besuchsgruppen hin und her reisen.

Zudem werde bei Infoveranstaltungen mit dem französischen Konsul oder Europaabgeordneten etwa „Aufklärungsarbeit“ geleistet, um Europa, das scheinbar weit weg sei, aber dennoch mit Gesetzen das Leben der Aspacher beeinflusse, diesen näherzubringen, erklärt Rolf Kirschbaum. „Gerade jetzt in schwierigen Zeiten, da Europa bei der Wahl abgewatscht wurde, ist es wichtig, den Europagedanken hochzuhalten“, meint der Hauptamtsleiter. Daher sei für ihn die Verleihung nicht nur eine Ehre, sondern vor allem auch ein Auftrag weiterzumachen.

Es gibt vier verschiedene stufen der Auszeichnung

Im Jahr 1955 hat das Ministerkomitee des Europarats erstmals den Europapreis gestiftet, der inzwischen in vier verschiedenen Stufen vergeben wird: Europadiplom, Europafahne, Ehrenplakette und Europapreis, die höchste Auszeichnung. Das Ziel der Ehrungen ist, den Europagedanken zu fördern.

Jedes Jahr erhalten europaweit etwa 20 Kommunen Europadiplome beziehungsweise Fahnen als nächsthöhere Stufe. Bisher sind mehr als 1100 Fahnen verliehen worden. Rund 250 Städte und Gemeinden wurden mit Ehrenplaketten bedacht. Die Ehre, den Europapreis zu bekommen, wird dagegen jährlich nur einer – maximal zwei Kommunen – zuteil. 70 Städte durften den Wanderpreis seit seiner Stiftung beherbergen.

Jede europäische Kommune kann sich für eine der Auszeichnungen bewerben. Dabei muss dem Antrag eine ausführliche Dokumentation der verschiedenen Aktivitäten im Sinne des Europagedankens beigelegt werden. Der Ausschuss für Soziales, Gesundheit und nachhaltige Entwicklung der Parlamentarischen Versammlung entscheidet dann über die eingegangenen Berwerbungen.