Der Ex-Blumfeld-Kopf Jochen Distelmeyer hat im Merlin sein neues Soloalbum vorgestellt. Es versammelt eine gewitzte Auswahl bekannter Songs – und lässt auf eine Fortsetzung hoffen.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Ausgerechnet „Free as a Bird“, den letzten der etwa 226 veröffentlichten Beatles-Songs, stimmt Jochen Distelmeyer am Freitagabend im erwartungsgemäß ausverkauften Merlin zur Zugabe an. Das hat Stil, und das passt, als Schlusspunkt oder als tönendes Dokument des Umstands etwa, dass der frühere Kopf der Band Blumfeld frei wie ein Vöglein machen kann, was er will – zum Beispiel einige Wochen vor der Veröffentlichung seines neuen Albums nebst der dazugehörigen Tournee einfach mal ein Konzert ganz außerhalb der Reihe in einem für seine Kragenweite viel zu kleinen Club zu geben. Es passt, auch weil es einem klug choreografierten Abend ein letztes Krönchen aufsetzt, in dem Distelmeyer im ersten Konzertteil die englischsprachigen Songs aus seinem Mitte Februar erscheinenden Coverversionenalbum vorstellt, um dann (nach der „Raucherpause“, wie er die Zäsur nennt) auf Deutsch noch einen bunten Strauß älterer Klassiker von seinem Soloalbum „Heavy“ und – Ehrensache – von Blumfeld zu servieren.

 

Eine sehr gewitzte Auswahl an Songs

Das Album, „Songs from the Bottom Vol. 1“ betitelt, lässt ob seines Namens auf eine Fortsetzung hoffen, und das wäre auch sehr recht. Denn eine vordergründig obskure, bei näherem Nachdenken und vor allem Hinhören dann doch sehr gewitzte Auswahl hat er getroffen. Lana Del Reys „Video Games“ treffen dort und im Merlin auf Richard Ashcrofts „Bitter sweet Symphony“; vor Britney Spears macht er ebenso wenig Halt wie vor Kris Kristofferson. Vorzüglich intoniert der – wie sich wieder einmal zeigen soll – sehr gute Gitarrist und sehr gute Sänger Distelmeyer seine Adaptionen im Merlin, begleitet nur von seinem sehr dezent agierenden Kompagnon Daniel Florey am E-Piano. Leutselig gibt er dazu vielfach Auskunft über seine Auswahlmotive im Besonderen und die Befindlichkeit der Welt im Allgemeinen.

Ein Crooner wird der nette Mann mit dem Bubencharme nie werden, aber breitbeinig daherkommende Lautsprecher gibt es ja wahrlich genug. Jochen Distelmeyer überzeugt lieber mit Taten. Herrlich gerät ihm etwa seine Adaption des Bee Gees-Krachers „Tragedy“, vom Bombast und der fiesen Falsettstimme des Originals entschlackt, lernt man bei Distelmeyer diesen hervorragenden Song erst richtig schätzen. Und spätestens mit seinem Rausschmeißer „Let me go, I don’t wanna be your Hero“ stellt er unter Beweis, über was für einen hintergründigen Humor er verfügt.

„Hefte raus, Klassenarbeit, von wegen Hamburger Schule“, feixt der Mitbegründer jener so wichtigen musikalischen Strömung der jüngeren Vergangenheit etwa, und seine Hausaufgaben: die hat er ordentlich gemacht. Der Diskurspop mit einer der nach wie vor bedeutendsten deutschen Bands liegt einstweilen hinter ihm, anderthalb Soloalben, sein Romandebüt „Otis“ im vergangenen Frühjahr, nun folgen die Coverversionen, eine stringente künstlerische Fortentwicklung. Der baldigen Albumveröffentlichung jedenfalls, das hat Distelmeyer in Stuttgart glänzend unter Beweis gestellt, darf man sehr gespannt entgegensehen.