Der Zentralratsvorsitzende der Juden in Deutschland war Gast bei der Eröffnung der Jüdische Kulturwochen. Und Josef Schuster wurde deutlich: Der Antisemitismus wurde nicht mehr, tritt aber wesentlich offener zutage.

Stuttgart - Die Prognose des Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland macht Mut: Auf die abschließende Frage des Direktors des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden in Hessen, Daniel Neumann, wie es nun, nach 1700 Jahren, mit dem jüdischen Leben hierzulande weitergehe, zeigt sich Josef Schuster optimistisch: „Wenn wir sehen, wie vielfältig sich in den letzten 30 Jahren das jüdische Gemeindeleben in Deutschland entwickelt hat, dann sollte man sich auch von den negativen Einflüssen nicht entmutigen lassen.“

 

Noch bis 14. November gehen die Kulturwochen

Ein hoffnungsvoller Schlusssatz und ein guter Start in die Jüdischen Kulturwochen 2021, in deren Rahmen bis zum 14. November in Stuttgart zahlreiche Vorträge, Lesungen und Konzerte stattfinden. Die große Frage, die Neumann am Montagabend bei der Eröffnungsveranstaltung im Haus der Wirtschaft seinem Diskussionspartner stellt, ist zugleich das Motto, unter dem die 18. Jüdischen Kulturwochen der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg in diesem Jahr stehen: „Jüdisches Leben in Deutschland – 1700 Jahre – und wie weiter?“ Dass diese Frage überhaupt gestellt werden muss, ist der eigentliche Knackpunkt: Denn natürlich sprechen Schuster und Neumann an diesem Abend in ihrem Podiumsgespräch auch die Tatsache an, dass der Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft seit geraumer Zeit wieder unverhohlen zutage tritt. Wobei Schuster differenziert: Denn, wie der Arzt und Präsident des Zentralrats betont, der Antisemitismus sei zwar „spürbarer geworden“, die Zahl der Menschen mit antijüdischen Vorurteilen habe, nach Schusters Dafürhalten, gleichwohl nicht wesentlich zugenommen. Der Grund, dass man sich heute „wieder traut zu sagen, was man lange Zeit nur gedacht hat“, so analysiert Schuster, habe zwei Ursachen: die sozialen Medien und das Erstarken der AfD. „Da wurden Hemmschwellen abgebaut“, sagt der Zentralratsvorsitzende.

Durch soziale Medien wurden Hemmschwellen abgebaut

Auf die Frage, was gegen den Antisemitismus in dieser Situation unternommen werden könne, sieht Schuster in erster Linie die Bildung in der Verantwortung: „Kein Kind wird als Antisemit geboren“, sagt der 67-Jährige. Er kritisiert in diesem Zusammenhang auch Teile der Justiz, in der es „auf dem rechten Auge eine Sehschwäche“ gebe. Die vor allem während der Pandemie verstärkt zutage getretenen Verschwörungsmythen, die nicht selten mit antisemitistischen Vorurteilen einhergehen, sieht der Vorsitzende der politischen Dachorganisation der jüdischen Gemeinden mit Sorge: In der Vergangenheit habe sich immer wieder gezeigt, erklärt er am Beispiel der mittelalterlichen Pest-Pogrome, dass Minderheiten für nicht greifbare Phänomene in die Verantwortung genommen worden seien.

„1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ – für den Präsidenten des Zentralrats der Juden ist das auf dem Hintergrund der Geschichte folgerichtig kein Jubiläum im eigentlichen Wortsinn. Es gibt, sagt Schuster, schlichtweg „nichts zu jubilieren“.

Jiddische Sprache als Teil der deutschen Kultur

Vor dem Podiumsgespräch stellte OB Frank Nopper in Aussicht, dass nach der kürzlich erfolgten Benennung der Heinrich-Heine-Höhe nahe der Villa Reitzenstein die Stadt auch die Aufwertung des Joseph-Süß-Oppenheimer-Platzes im Blick habe. Der Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung, Michael Blume, forderte die Anerkennung der jiddischen Sprache als Teil der deutschen Kultur. Dass dies nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 1973 bis heute nicht so ist, sei der Grund, sagt Blume, weshalb jiddisch sprechende aschkenasische Juden bei der Einbürgerung nach Deutschland Spätaussiedlern noch immer nicht gleichgestellt seien.

Das Programm der Jüdischen Kulturwochen www.irgw.de/kulturwochen