Im Juni 1972 ist der Jugendfarmverein Möhringen gegründet worden. Eine Handvoll engagierter Leute baute den Platz auf – und bewies dabei viel Weitsicht.

Stadtleben und Stadtkultur : Alexandra Kratz (atz)

Für viele Mädchen und Jungen ist es ein Paradies, ein Stück Freiheit, ein Ort, an dem sie Kind sein dürfen. Und genau darum ging es bereits den Gründern der Jugendfarm vor 50 Jahren: „Wo und wie sollen Kinder heute spielen? Die Wohnstädte sind durchorganisiert. Jeder Quadratmeter ist bebaut, verplant oder eingezäunt“, schrieben sie in einem Heft, das Ende der 1970er Jahre erschien und indem sie von ihren Erfahrungen nach sieben Jahren Farm berichteten. Darüber hinaus ging es aber von Anfang an auch um das, was man heute Inklusion nennt: Um das Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung. Bis heute gehören die Kooperation mit dem Sonderschulzentrum Hengstäcker und das heiltherapeutische Reiten fest zum Konzept.

 

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Marion Kalka ist noch heute beeindruckt von dem und dankbar für das, was die Gründergeneration damals geleistet hat. Eine Handvoll Leute habe die Farm damals ehrenamtlich aufgebaut und schon damals so solide und weitsichtig gehandelt, dass man bis heute kaum etwas verändert habe. „Es war von Anfang an ein gutes Konzept“, sagt die Farm-Mitarbeiterin.

Der Zusammenhalt auf der Farm ist groß

Erika Deringer hatte Anfang der 1970er-Jahre die Idee, im Gewann Haldenwies eine Jugendfarm zu gründen. Sie war damals auf der Jugendfarm Elsental, der ersten Jugendfarm überhaupt, aktiv. Gemeinsam mit dem Pfarrer Jörg Zink trieb sie das Projekt voran. Im Juli 1972 – vor knapp 50 Jahren – gründeten sie den Verein. Seit 1973 gibt es das Farmhaus, seit 1975 die Reithalle und seit 1978 eine Werkstatt. Das Handwerkliche habe auf der Jugendfarm Möhringen von Anfang an einen hohen Stellenwert gehabt. Bis heute führe das dazu, dass gut 50 Prozent der Besucher Jungen seien. Das sei auf Plätzen, auf denen vor allem der Tierbereich im Vordergrund stehe, nicht so.

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Marion Kalka hat die Geschichte der Jugendfarm von Anfang an begleitet. Als sie gegründet wurde, war sie 16 und kam wegen der Pferde auf das Gelände. Doch die hätten bald gar nicht mehr so im Vordergrund gestanden. „Es war einfach gigantisch, das mitzuerleben, wie ein Gruppe von Leuten eine Idee hatte und diese einfach umsetzte. Das hat mich geprägt“, sagt sie. Bis heute ist der Zusammenhalt auf der Farm groß. Zum Fest Mitte Mai kamen nicht nur viele Familien, sondern auch viele Ehemalige. Und auch Erika Heyl, welche ebenfalls zur Gründergeneration gehört, war dabei und saß auf der Terrasse an ihrem Spinnrad.

Nachfrage nach verbindlicher Betreuung ist gestiegen

Das ein oder andere hat sich dann aber doch verändert, zum Beispiel mit dem Ausbau der Ganztagsschulen. Denn wenn Kinder auch den Nachmittag in der Schule verbringen, haben sie deutlich weniger Zeit, um auf die Farm zu kommen. Zudem ist die Frage nach verbindlichen Betreuungsangeboten gestiegen – das die Kinder kommen und gehen, wie sie wollen, wie es das Konzept der offenen Jugendarbeit vorsieht, ist vielen Eltern heute zu unsicher.

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Das Team der Jugendfarm reagierte darauf mit dem stetigen Ausbau des Mittagstischs. Das bedeutet, dass die Kinder zum Essen auf die Farm kommen, dann ihre Hausaufgaben machen können und dann Zeit zum Spielen haben. Zudem bietet das Team in den Ferien die „Farm für Frühaufsteher“ an, bei der die Kinder verbindlich bis zum frühen Nachmittag betreut werden.

Wie Corona die Arbeit verändert hat

Ein Einschnitt kam mit Corona. Im Lockdown war auch die Farm zu. Die Mitarbeiter nutzten die Zeit für Sanierungsprojekte. Doch die Kinder fehlten. „Mit den Lockerungen haben wir immer versucht, so viele Kinder wie nur möglich auf den Platz zu holen“, sagt Marion Kalka. Doch es war anders als früher. Die Kinder mussten angemeldet, das Tor immer wieder geschlossen und auf dem Platz feste Gruppen und Abstände eingehalten werden. Die Hürde, auf die Farm zu kommen, war höher. „Ich glaube, wir haben in diesen Phasen auch Kinder verloren“, sagt Marion Kalka. Andererseits habe man gerade in dieser Zeit die Dankbarkeit der Eltern und Kinder gespürt. Der Stellenwert der Freiheiten auf der Farm stieg in der Zeit des pandemiebedingten Eingesperrtseins.

Für die Zukunft wünscht sich Marion Kalka, dass das offene Konzept weiter Bestand hat und „die Farm nicht plötzlich Kurse anbietet“. Thomas Lang, ebenfalls langjähriger Mitarbeiter der Jugendfarm, ergänzt: „Die elementaren Erfahrungen mit Handwerk und Natur, die Kinder auf der Farm machen können, sind in unserer zunehmend digitalen Welt etwas Unbezahlbares.“ Er hoffe, dass es immer Menschen gibt, die das ebenso als wichtig erachten und die Farm unterstützen. Damit meint er nicht nur Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung, sondern auch Eltern, die ehrenamtlich viel Zeit einbringen, vor allem, wenn sie sich im Vorstand des Farmvereins engagieren. „Dafür sind wir sehr dankbar“, sagt Marion Kalka.

Ein Ort der Freude, aber auch der Trauer

Jubiläum
Der Farmverein feiert sein 50-jähriges Bestehen am 24. Juli mit einem Blues-Brunch. Für Marion Kalka und Thomas Lang wird es das offizielle Abschiedsfest. Sie verabschieden sich nach vielen Jahren hauptamtlicher Arbeit auf dem Platz in den Ruhestand.

Bufdi
Das Team hat noch offene Stellen für den Bundesfreiwilligendienst zu vergeben. Bewerber müssen mindestens 18 Jahre alt sein und können sich per E-Mail an sandra.brede-hasse@jufa.de melden.

Stolpersteine
Nicht immer wurde auf dem heutigen Farmgelände an der Balinger Straße 111 gelacht. Während des Nationalsozialismus war es ein Kriegsgefangenenlager. Dort starben sieben sowjetische, offiziell als „unerwünscht“ geltende Zwangsarbeiterkinder infolge mangelnder Versorgung. An sie erinnern seit 2017 sieben Stolpersteine vor dem großen Farmtor.