Wenn Mädchen zuschlagen, sind sie heutzutage nicht weniger brutal als Jungen. Häufig sind die Täterinnen zunächst einmal Opfer. Eine Beratungsstelle in Stuttgart versucht, junge Straftäterinnen von der Gewalt abzubringen.

Stuttgart - Junge Mädchen holen auf. Zwar ist der Anteil der unter 21 Jahre alten Tatverdächtigen bei Gewaltdelikten landesweit und auch in Stuttgart rückläufig, doch im Mehrjahresvergleich stellt das Landeskriminalamt bei den weiblichen Jungtätern „eine tendenzielle Angleichung an männliche Verhaltensmuster“ fest. Im November kursierte im Internet ein Gewaltvideo, bei dem Mädchen eine 13-Jährige in Tübingen verprügelten – gegen sieben der Tatverdächtigen erließ die Staatsanwaltschaft jetzt Anklage. Und erst kürzlich sind, wie berichtet, vier junge Frauen wegen ihres brutalen Überfalls auf vier Jugendliche im Plochinger Bahnhof mit bis zu zwei Jahren Haft verurteilt worden.

 

Yasmina (Name geändert) blieb dies bisher erspart. Die 17-jährige Stuttgarterin bekam für mehrfache und gefährliche Körperverletzung vom Richter eine Weisungsberatung auferlegt – eine Mischung aus Anti-Gewalttraining und sozialem Training. Gemeinsam mit anderen Mädchen hatte Yasmina eine junge Frau krankenhausreif geprügelt und getreten, als sie sie unterwegs zufällig allein trafen.

Manchmal reicht ein Schlüsselwort für den Gewaltausbruch

Was war geschehen? Bereits eine Woche zuvor waren die jungen Frauen aneinander geraten. Das spätere Opfer hatte Yasmina als „Schlampe“ beschimpft. Das war das Schlüsselwort. Es machte Yasmina wütend. Tagelang steigerte sie sich in diese Wut hinein. „Sie fühlte sich stark gekränkt und dachte: Wer so respektlos behandelt wird, ist ein Nichts. Und wer will schon als Nichts durch die Gegend laufen“, sagt Roswitha Weber. Seit vier Jahren kümmert sich die Sozialarbeiterin, Mediatorin und Anti-Gewalttrainerin in der Weisungsberatung „WeiBer“ des Stuttgarter Jugendamts um jugendliche Gewalttäterinnen.

Es ist eine ambulante Maßnahme der Jugendhilfe im Strafverfahren. Die Mehrheit der Mädchen oder jungen Frauen, die zu Roswitha Weber geschickt werden, hat einen Migrationshintergrund und einen Hauptschulabschluss, viele von ihnen kommen aus Familien, in denen Gewalt, Sucht oder eine psychische Erkrankung den Alltag prägen. Viele ritzen sich. Yasmina ist somit ein typischer Fall.

„Willst du an dir was ändern?“

„Die Weisungsberatung ist die Strafe“, sagt Roswitha Weber. Es könne aber auch eine Chance sein, sofern die jungen Frauen genügend Motivation mitbringen, sich an die Regeln halten und zuverlässig zur Beratung kommen. Aber das prüft Roswitha Weber gleich am Anfang ab: „Willst du an dir was ändern?“, fragt sie die Mädchen. „Falls nicht, ist es vertane Zeit – für dich und für mich.“ Dann erhalte das Gericht eine Mitteilung und könne einen Ungehorsamkeitsarrest anordnen. In den vergangenen vier Jahren haben aber nur vier der insgesamt 57 Klientinnen Webers die Beratung vorzeitig verlassen. Das Handlungsmuster ihrer Klientinnen lasse sich in dieser Reihenfolge zusammenfassen: „Falsche Freunde, Mist bauen, Probleme in der Schule, Probleme mit der Polizei.“ So ging es auch Yasmina. Mit 14 war sie von der Real- auf die Hauptschule gewechselt. Mit 15 wurde sie zum ersten Mal auffällig. Yasmina habe eine unbändige Wut auf die Mutter, weil die den gewalttätigen Familienvater, der Frau und Kinder schlug, weder anzeigte noch bereit gewesen war, sich von ihm zu trennen.

Ohnmächtige Wut auf die Mutter

Doch was macht ein Mädchen wie Yasmina mit seiner Wut, die aus einem Gefühl der Ohnmacht heraus gespeist wird? „Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen, konfliktfähig zu werden und Empathie zu entwickeln“, sagt Roswitha Weber. „Die Jugendlichen sollen lernen, dass sie nicht bestimmen können, was andere tun. Aber sie müssen auch lernen: Nicht der andere wertet mich ab, sondern ich selber.“

Häufig sind die Täterinnen zunächst einmal Opfer

Bei Yasmina musste die Trainerin noch grundlegender ansetzen: „Sie hat sich selber gar nicht als aggressiv wahrgenommen.“ Roswitha Weber will ihr und anderen Straftäterinnen ihre eigenen Stärken bewusst machen und ihnen Entscheidungsspielräume geben: „Aber wer auf 180 ist, kann nicht entscheiden.“ Dies zu ändern sei ein mühsamer Prozess. „Die Mädels sollen lernen: Ich bin für mein Verhalten verantwortlich, aber auch für meine Gefühle.“ Es müsse endlich mal Schluss sein mit diesem „Du bist schuld, dass ich so wütend bin.“ Es gehe darum, aus der eigenen Opferrolle rauszukommen und neue Lebensperspektiven zu entwickeln.

Acht Stunden Zeit bleiben den jungen Straftäterinnen in der Weisungsberatung dafür. Zuvor müssen sie zwei bis drei Monate warten, bis Weber Zeit für sie hat. Doch der Bedarf nimmt zu. „Zur Zeit haben wir einen enormen Beratungsanstieg.“ Die Sozialarbeiterin führt dies auch darauf zurück, dass ihr Angebot bekannter wird. In den vergangenen vier Jahren sei die Zahl der Weisungen von zwölf im Jahr 2011 auf 23 im Jahr 2014 angestiegen. Man denke darüber nach, die Wartezeit auf vier bis sechs Monate auszudehnen. Zudem versucht die Sozialarbeiterin, die für diese Beratung nur eine 20-Prozent-Stelle zur Verfügung hat, dies durch Kleingruppenarbeit aufzufangen. Und sie hofft auf Verstärkung: „Wir haben einen Stellenplanantrag für die Schaffung einer zusätzlichen 70-Prozent-Stelle gestellt.“

Gibt es eine Erfolgsbilanz? „Viele Mädchen bedanken sich hinterher“, sagt Roswitha Weber. „Meistens sagen sie: Ich merk’, dass bei mir was geht. – Damit meinen sie eine positive Richtung.“ Yasmina wolle sich jetzt um eine Ausbildung als Hotelfachfrau kümmern und ihr eigenes Geld verdienen.