Experten glauben schon lange, dass viele Totenscheine fehlerhaft ausgestellt sind. Oft werden Spuren von Verbrechen nicht erkennt. Die Justiz will jetzt handeln.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Die Problematik ist seit Jahren bekannt, aber von einer Lösung sind die Behörden immer noch weit entfernt: Wahrscheinlich bleiben nicht wenige Tötungsdelikte in Deutschland unentdeckt, weil Ärzte bei der Ausstellung von Totenscheinen Fehler machen und Indizien für einen gewaltsamen Tod nicht erkennen. „Die Qualität der Leichenschau ist deutschlandweit ein Problem“, sagte die Direktorin des Rechtsmedizinischen Instituts der Universität Greifswald, Britta Bockholdt, bei der Jahrestagung der Gesellschaft für Rechtsmedizin erst vor Kurzem. Laut ihrer Schätzung könnte jeder fünfte in Deutschland ausgestellte Totenschein fehlerhaft sein.

 

Auch die Justizminister von Bund und Ländern sind deswegen alarmiert. Sie können aber nicht sagen, wie groß das Problem genau ist, „weil es ja um unentdeckte Delikte geht“, erklärte Mecklenburg-Vorpommerns Justizministerin Uta-Maria Kuder (CDU) in Berlin. In der Fachliteratur wird auf eine Studie aus den neunziger Jahren verwiesen, die eine Dunkelziffer von 1200 bis 2400 unentdeckten Todesfällen jährlich für möglich hält. Zum Vergleich: die Kriminalstatistik registrierte im vergangenen Jahr 2122 Morde und Totschläge; die Aufklärungsquote liegt bei 95 Prozent.

Um die Qualität der Leichenschau zu verbessern, haben die Justizminister der Länder schon vor fünf Jahren Empfehlungen formuliert. Jetzt „bitten“ sie ihre Kollegen in den Gesundheitsressorts in einem Beschluss darum, „auf eine Intensivierung der Umsetzung der Empfehlungen“ hinzuwirken. Bei ihrer Pressekonferenz erlegte die Vorsitzende der Justizministerkonferenz Uta-Maria Kuder sich nicht so viel diplomatische Zurückhaltung auf. „Wir fordern, dass nun endlich etwas passieren muss“, sagte sie.

Sie verwies auf einen spektakulären Fall in ihrem eigenen Land. Dort ist vor Feuerbestattungen eine zweite Leichenschau Pflicht. Ein 69-jähriger Mann hatte eine 65-jährige Bekannte erwürgt. Blutspuren im Auge – und damit ein Indiz für einen Erstickungstod – wurden erst bei der zweiten Leichenschau unmittelbar vor der Einäscherung entdeckt. Das war der Auftakt für Ermittlungen. Der Mann gestand später den Mord und wurde zu elf Jahren Haft verurteilt.