Große weltliche Wohlfahrtsverbände wollen sich Anfang des neuen Jahres zu einem neuen Arbeitgeberverband zusammenschließen. Dies wäre eine wichtige Voraussetzung, um flächendeckende Tarifverträge der Altenpflege auszuhandeln. Verdi freut sich – die privaten Anbieter üben Kritik.
Stuttgart - Die Bundesregierung hat sich auf die Fahnen geschrieben, den Pflegenotstand zu beenden. Ein wesentliches Element der Offensive ist ein flächendeckender Tarifvertrag in einem tief zerklüfteten Markt, der auch von Lohndumping gekennzeichnet ist. Bisher fehlte es an handlungsfähigen Akteuren, um einen Flächentarifvertrag zu etablieren. Doch Anfang 2019 kommt Bewegung in die Sache.
Der Chef des Awo-Bundesverbandes, Wolfgang Stadler, kündigte die Gründung eines neuen Arbeitgeberverbandes an, in dem sich nichtkirchliche und gemeinnützige Organisationen zusammenschließen. Im Januar könnte der Durchbruch gelingen. „Einzelheiten zur Arbeitsweise des Arbeitgeberverbandes werden erst bei der Gründung bekannt gegeben“, ergänzte eine Awo-Sprecherin. Derzeit befinde man sich noch in internen Verhandlungen.
Verdi-Kommission macht schon Nägel mit Köpfen
Klar ist jedoch, dass der Verband mit der Gewerkschaft Verdi die Tarife aushandeln wird. „Pflegebedürftige Menschen gut zu versorgen und ihnen ein würdevolles Leben zu gewährleisten, ist eine zentrale Zukunftsaufgabe der Gesellschaft“, sagte Vorstandsmitglied Sylvia Bühler unserer Zeitung. Nötig seien mehr Personal und eine gute Bezahlung der Beschäftigten. „Damit kein Anbieter ausscheren kann, brauchen wir einen Tarifvertrag, der auf die gesamte Altenpflege erstreckt wird.“ Gleich zu Beginn des neuen Jahres könnten die Voraussetzungen für einen solchen Tarifvertrag geschaffen werden. „Die kommerziellen Arbeitgeber sind aufgefordert, diesen Prozess mitzugestalten“, mahnte Bühler.
Die Gewerkschaft zeigt sich vorbereitet: Ende September hatte Verdi eine Bundestarifkommission Altenpflege gebildet. Diese will am 18. Januar konkrete Forderungen beschließen, die sich am Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes orientieren.
Private schließen Gang nach Karlsruhe nicht aus
Naturgemäß kritisch wird die Entwicklung vom privaten BPA-Arbeitgeberverband gesehen, der nach eigenen Angaben ein Drittel des gesamten Pflegemarktes abdeckt. „Eines ist sicher: Wir werden uns nicht der Tarifgemeinschaft anschließen, weil das Vorgehen nichts mit Tarifautonomie zu tun hat“, sagte der Geschäftsführer Sven Halldorn. Wenn die von Verdi und dem neuen Verband ausgehandelten Tarife auf alle anderen Anbieter ausgedehnt werden, „werden wir uns am Ende auch mit rechtlichen Argumenten zu Wehr setzen“. Diese Kritik bezieht sich auf das wahrscheinliche Verfahren über eine Änderung des Arbeitnehmerentsendegesetzes. Dabei werden die Mindestbedingungen von der Bundesregierung per Rechtsverordnung festgelegt. Paragraf 7 a ermöglicht es dem Gesetzgeber, einen Tarifvertrag auf die gesamte Branche zu erstrecken. „Wir haben ja auch eine negative Koalitionsfreiheit – man muss sich nicht zu Tarifverhandlungen zusammenschließen“, wendet Halldorn ein. Daher stünde das Vorgehen „auf tönernen Füßen“. Für den Fall, dass es aus BPA-Sicht verfassungswidrig sei, schließt er den Gang nach Karlsruhe nicht aus.
Der Einfluss des neuen Verbandes ist unklar
Unklar sei zudem, „welches Gewicht der neue Verband auf die Waage bringt“, sagt Halldorn. Wahrscheinlich wird sich neben der Arbeiterwohlfahrt das Deutsche Rote Kreuz einbringen, womöglich auch der Paritätische Wohlfahrtsverband. „Diese drei Anbieter stehen vielleicht für zehn Prozent der Beschäftigten – insofern schreckt einen das auf den ersten Blick noch nicht.“ Entscheidend sei daher, wie Caritas und Diakonie eingebunden werden, die „viel marktmächtiger“ seien als die anderen drei zusammen. „Ohne die Kirchen ist der neue Verband nicht gerade repräsentativ.“
Caritas und Diakonie werden ihre vom Gesetzgeber eingeräumten kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien nicht aufgeben. Folglich sucht Verdi mit den beiden Trägern noch einen Weg, damit sie Flächentarife eher unterstützen als behindern.