Am 22. September wird gewählt. Aber welcher Typ Mensch drängt eigentlich ins Parlament, was treibt Kandidaten an? Diesmal: Michael Schlecht, der Chefvolkswirt der Linken

Mannheim - Auch 30 Jahre danach erinnert er sich genau. Michael Schlecht hat die Ereignisse und Termine der großen Tarifauseinandersetzungen in der Druckindustrie in den achtziger Jahren noch heute vor Augen. „Die nächtelangen Verhandlungen haben sich in mein Gehirn eingebrannt“, sagt er und berichtet, wie Mitte der achtziger Jahre die Gewerkschaft IG Druck gegen heftigen Widerstand der Arbeitgeber die 38,5-Stunden-Woche durchsetze. „Ich könnte alle Daten mit Uhrzeit herunterbeten“, sagt er und spricht über Zeiten, in denen Tarifstreitigkeiten mit aller Härte ausgefochten wurden. Damals sei noch richtige Tarifpolitik gemacht worden, meint Schlecht. Dazu zählt er etwa „Guerillastreiks“, die bewegliche Art des Arbeitskampfes. Über seine Erfahrungen kann Schlecht stundenlang reden. Der Gewerkschaftssekretär war die rechte Hand des früheren Gewerkschaftsvorsitzenden Detlef Hensche, später arbeitete er bei Verdi als Chefvolkswirt. Diese Zeiten haben den Gewerkschaftssekretär geprägt.

 

Heute ist der 62-Jährige Abgeordneter der Linksfraktion mit Wahlkreis Mannheim. Seit 2009 gehört er dem Parlament an. Für den Bundestag kandidierte er, weil er zur Überzeugung gelangte, dass mit Gewerkschaftsarbeit allein die politischen Rahmenbedingungen nicht verändert werden können. Schon in den neunziger Jahren kam Schlecht zu der Erkenntnis, dass Regierung und Parlament die Rechte von Arbeitnehmern immer stärker aushöhlten. „Wir müssen in die politische Arena, um etwas zu verändern“, lautet seine Motivation. Das Fass zum Überlaufen brachte für Schlecht, der jahrzehntelang der SPD angehörte, die Agenda 2010. Die rot-grünen Arbeitsmarktreformen ließen bei ihm den Entschluss reifen, dass sich Gewerkschafter stärker einmischen müssen. Zusammen mit anderen Funktionären aus den Arbeitnehmerorganisationen suchte er eine neue politische Heimat. Schlecht gehörte zu den Mitbegründern der WASG, die später mit der ostdeutschen PDS zur Linkspartei fusionierte. Die Linke ist die Partei, in der überproportional viele Gewerkschafter vertreten sind.

Gewerkschafter in anderen Fraktionen nennt er „üble Verräter“

Wer nun annimmt, im Parlament zögen frühere Gewerkschafter aus allen Fraktionen an einem Strang, wird von dem Linkspolitiker eines Besseren belehrt. Die meisten gewerkschaftsnahen Parlamentarier aus den anderen Fraktionen bezeichnet Schlecht als „üble Verräter“. Er wirft ihnen vor, faule Kompromisse zu Gunsten einer wirtschaftsfreundlichen Ausrichtung gemacht zu haben. Die Sozial- und Arbeitsmarktreformen des vergangenen Jahrzehnts hält er für falsch. Die Linke sei die einzige Kraft, die dagegenhalte.

Das Abgeordnetendasein sieht Schlecht nicht als den Höhepunkt seiner beruflichen Karriere an. Die Tätigkeit im Bundestag gehörte nicht zu seiner Lebensplanung. Wer mit dem Abgeordneten spricht, spürt, wie sehr ihn die Arbeit als Gewerkschaftsfunktionär erfüllt hat. Diese Zeit ist für ihn Ansporn. Ursprünglich hatte er die Absicht gehabt, von einem Gewerkschaftsposten aus in den Ruhestand zu gehen. Wie alle früheren Gewerkschaftsmitarbeiter hat auch Schlecht ein Rückkehrrecht zu Verdi. Doch er will im Parlament bleiben und tritt deshalb zur Wahl im September erneut an. Ihn treibt nach eigenem Bekunden dabei die Überzeugung an, dass die Linke einiges bewirkt habe. Seine Aussage macht er beispielsweise daran fest, dass mittlerweile selbst die Kanzlerin von einer Mietpreisbremse spricht. Für diesen und andere Begriffe beansprucht die Linke die Urheberschaft.

Die Stuttgarter Zeitung wird in den nächsten Tagen in loser Folge weitere Kandidaten-Typen vorstellen – vom Newcomer über den Arbeiter bis zur Ex-Prominenten.