Der Modeschöpfer Karl Lagerfeld feiert seinen achtzigsten Geburtstag, wenn auch sehr widerwillig. Er spricht lieber nicht darüber. Das aber nicht, weil er 80 für zu alt hält. Lagerfeld blickt einfach viel lieber nach vorn.

Paris - Ihm muss doch schwindelig werden so hoch da oben, so ganz allein. Wen sonst vergöttert die modeinteressierte Menschheit denn noch als Papst, Kaiser, König, Zar? Wer sonst kann sich alles herausnehmen, ohne dass ihm irgendetwas ernstlich verübelt würde? Karl Lagerfeld, seit dem Tod Yves Saint Laurents unumschränkter Alleinherrscher über die Pariser Haute Couture, kann das und sonst keiner.

 

Ob der Mann mit dem gepudertem Mozartzopf nun seiner Hauskatze Gänseleberpastete auftischt, nachts die Sonnenbrille aufsetzt oder eine eben noch als Inspirationsquelle gepriesene Muse verstößt, ihr gar übel nachredet: Fasziniert verfolgt das Publikum die Pirouetten des rastlos Kreativen, spendet Beifall.

Als der Chefdesigner von Chanel und Fendi vor einer Woche nach München kam, um einen weiteren Laden des eigenen Labels zu eröffnen, mussten Leibwächter dem Wahlfranzosen erst einmal eine Gasse durch Fanmassen und Kamerateams bahnen. Aber Lagerfeld wird nicht schwindelig. So hoch er die Karriereleiter auch hinaufgeklettert ist, so schnell er von einer Show zur nächsten eilt: Konstanten gibt es schon auch, beruflich wie privat. Supermodels wie Inès de la Fressange oder Claudia Schiffer traten für Lagerfeld auch im fortgeschrittenen Alter noch vor die Kamera. Chanel, das ist bei aller saisonalen Spielerei noch immer das schwarze Cocktailkleid, die Waffeltasche, das rosa Kostüm. Den geliebten Aidskranken Freund Jacques de Bascher pflegte Lagerfeld bis zu dessen Tod.

Schon früh greift er entschlossen zu den Sternen

Von ein paar Fixsternen abgesehen ist der Lagerfeldkosmos zur Freude des Schöpfers immer in Bewegung. Hat er nicht auch sich selbst immer wieder neu erfunden? Letzter Dandy von Paris war er, prüder Preuße, pummeliger Maestro mit Fächer oder auch um 42 Kilo Körpergewicht erleichterter Diätbuchautor ohne Fächer. Lagerfeld hat sich als Museums-, Möbel- und Teddybärdesigner hervorgetan, als Filmemacher, Fotograf, Verleger und Büchersammler.

Und so wäre sein Glück am 80. Geburtstag am Dienstag gewiss vollkommen, wären ihm Geburtstage und Jubiläen nicht zutiefst zuwider. Sie laden zu besinnlichem Rückblick ein. Für jemanden, der von leidenschaftlicher Neugier getrieben nach vorne guckt, wo hinter der nächsten Kurve die nächste Inspiration warten mag, ist dies schlicht die falsche Richtung.

Als er vor 30 Jahren bei Chanel anheuerte, riss er sogleich das Steuer herum. Nach dem Tod Coco Chanels sei das Modehaus elf Jahre lang in Hochachtung erstarrt, diagnostizierte Lagerfeld und beschritt neue Wege. Respekt sei in dieser Branche leider nicht möglich, stellte er klar, in der Mode müsse man über Leichen gehen. Wer so entschlossen nach den Sternen greift, kann sich nicht auch noch um alles Irdische kümmern. Mit Geld befasse er sich nicht, hat Lagerfeld kürzlich klargestellt. Aber vielleicht war das ja auch nur eine dieser Geschichten, mit denen der Maestro sich und das Publikum unterhält, bevor sie dann feuerwerksgleich zerplatzen. So wie der von den Franzosen liebevoll-ehrfürchtig „Le grand Karl“ Genannte sich neue Geburtstermine ausdachte, und Wikipedia schließlich resignierend vermeldete: geboren zwischen 1933 und 1938. Erst als ein Ehepaar aus Hamburg-Blankenese die Geburtsurkunde des eben dort zur Welt gekommenen Modemachers zu Tage förderte und den Fund vor ein paar Monaten veröffentlichte, stand das wahre Datum fest: der 10. September 1933.

Ganz am Anfang stand der Zufall

Nein, ein gewisser Erwerbssinn wird dem Sohn des Glücksklee-Dosenmilch-Fabrikanten Otto Lagerfeld schon in die Wiege gelegt worden sein. Jedenfalls bringt es der Art Director von Chanel und Fendi jährlich auf drei Milliarden Euro Umsatz. Hinzu kommt gut eine halbe Milliarde aus Verkäufen im eigenen Namen. Das französische Magazin „Challenges“ hat Lagerfeld kürzlich aus gutem Grund als „Wirtschaftsmacht“ präsentiert und ihm die Titelgeschichte gewidmet. Ganz ohne Gespür fürs Geldverdienen wird er in solche finanziellen Größenordnungen kaum vorgestoßen sein. Es sei denn, der Zufall hätte auch in finanzieller Hinsicht Regie geführt. Ganz am Anfang der Karriere, hat Lagerfeld erzählt, sei ihm der Zufall zur Seite gestanden. In einem Designerwettbewerb hatte sich der aufstrebende Zeichner damals gegen 200 000 Konkurrenten durchgesetzt. „Das war doch Zufall“, sagt Lagerfeld heute. „Wer kann denn sagen, dass von 200 000 Zeichnungen meine die beste war?“