Mit einem Aufruf zum Ende des Ukraine-Krieges von Bundespräsident Steinmeier ist am Mittwochabend der 102. Deutsche Katholikentag in Stuttgart eröffnet worden.

Kein Durchkommen hier, kein Durchkommen da. Passanten, die in der Stadt wie gewohnt von A nach B wollen, sind genervt. Auch Stuttgarts bekanntester Flaneur, der Journalist Joe Bauer, muss seine gewohnten Laufwege zum Württembergischen Kunstverein ändern. Fleißige Helfer sperren mit gespannten Seilen viele Durchgänge ohne ersichtlichen Grund – so auch die von Bauer. Der Katholikentag macht es seinen Besuchern und Stuttgart am Abend der Begegnung nicht leicht, mit der fünftägigen Veranstaltung warm zu werden.

 

Auch die Orientierung fällt vielen schwer. Im Programmheft fehlen Uhrzeiten. Und da, wo alle den Auftritt des Bundespräsidenten vermuten, ist nichts als eine leere Bühne. Im Ehrenhof des Neuen Schlosses und am Schlossplatz finden im Gegensatz zum Deutschen Evangelischen Kirchentag 2015 bis zum Eröffnungsgottesdienst am Donnerstagmorgen (10 Uhr) nichts Großes statt. Von daher verbietet sich eigentlich jeder Vergleich. Dennoch muss er gezogen werden. Während am Eröffnungstag 2015 der ganze Schlossplatz bis zu den Treppen des Kunstmuseums mit Menschen gesäumt war und in einem Lichtermeer aus 60 000 Kerzen versank, wirkt der Auftakt des 102. Katholikentag am Eckensee eher wie ein Welt-Pfandfindertreffen. Am Ende werden dort 6000 Besucher vom Veranstalter gezählt. Eine wohlwollende Schätzung. Denn die Reihen auf der Wiese vor der Bühne sind licht. Entsprechend lau ist die Stimmung beim Vorprogramm. Daran ändert auch das nette Grußwort des Papstes, das ein Robenträger vor dem Start um 18 Uhr überbringt, wenig. „So sind wir in diesen Tagen mit unseren Gedanken bei den Menschen in der Ukraine, und wir beten für alle Menschen, deren Leben bedroht und beeinträchtigt ist“, ließ der Pontifex übermitteln. Der Beifall für Franziskus bleibt verhalten.

Überwältigende Polizeipräsenz

Zum Stimmungsbild passt auch die überwältigende Polizeipräsenz. Gefühlt kommt auf zehn Besucher ein Polizist. Wie viele tatsächlich im Einsatz sind, ist ein Staatsgeheimnis. „Wir geben grundsätzlich keine Zahlen raus“, sagt ein Sprecher der Stuttgarter Polizei. Aber es seien durch den Auftrieb der Politprominenz doch ein paar Beamte mehr als üblich.

Von dieser Prominenz ist auch die evangelische Prälatin Gabriele Arnold beeindruckt. Die Stuttgarterin gehört neben ihrem Bischof Frank Otfried July zur ökumenischen Garnitur des Abends. Während July ein paar Worte sagen darf, bleiben für Arnold nur ein paar Gebets- und Segenssprüche übrig. Sie selbst empfindet sich daher als ein „ökumenisches Kosmetiktüchle“. So wirkt auch der protestantische Bläserchor, der an der anderen Uferseite des Eckensees auf dem Dach des Staatstheaters spielen muss. Und als ein Polizeihubschrauber über dem Schlossgarten seine Kreise zieht, ersäuft das Blech im Rotorenlärm.

Ökumene nur Kosmetik?

Lange Rede, kurzer Sinn. Stuttgart fremdelt zum Start noch ein wenig mit dem Katholikentag. Das wird erst besser, als die Menge nach den ersten Begrüßungsworten von Gastgeber und Bischof Gebhart Fürst, Ministerpräsident Winfried Kretschmann und OB Frank Nopper das bekannte Lied „Da wohnt ein Sehnen tief in uns“ voller Inbrunst und Tiefe ertönen lassen. Das ist der erste Gänsehautmoment des Katholikentags. denn der Liedtext, der von „Durst nach Glück“, Liebe, Frieden und Hoffnung handelt, kam aus den Herzen und traf in alle Herzen. Sogar die BKA-Agentin, die bisher wie versteinert mit verschränkten Händen dastand, ließ für einen Augenblick ihre grimmige Maske fallen. Plötzlich erhellt ein charmantes Lächeln ihr Gesicht.

Passend dazu die Worte von Bischof Fürst: „Mir geht das Herz auf , wenn ich diese Atmosphäre sehe.“ Weiter sagte der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart: „Aus dieser Freude erwächst Kraft, um sich den Problemen der Zeit zu stellen.“ Auch MP Kretschmann rückte „die zwei Krisen dieser Zeit“ in den Mittelpunkt seiner Begrüßungsworte, Damit meinte er die Erderhitzung und den Ukraine-Krieg. Daher wünschte er sich, dass vom Katholikentag Gespräche über Gott und die Welt ausgehen, die dabei helfen, gestärkt aus den Krisen hervorzugehen: „Denn für Krisen braucht man Kraft und Zuversicht.“

Scharfe Kritik der ZDK-Präsidentin

Und wenn das nicht hilft, muss ein Imperativ her. „Wir wollen Frieden“, rief ZDK-Präsidentin Irme Stetter-Karp und meinte angesichts der Krisen sowie der Hierarchien in der römisch-katholischen Kirche: „Wir sind bereit, die Kirche vom Kopf auf die Füße zu stellen. Das Oben und Unten müsse ein Ende haben.“

Der Hauptredner des Abend, Frank-Walter Steinmeier, stellte seinen Beitrag ganz ins Zeichen des Krieges. Er forderte den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf, die Souveränität der Ukraine zu respektieren und seine Truppen zurückzuziehen: „Herr Putin, beenden Sie das Leid und die Zerstörung der Ukraine“, sagte Steinmeier. Der russische Präsident solle nicht das „direkte und ernsthafte Gespräch“ mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj verweigern, so seine Mahnung: „Das Sterben in der Ukraine muss ein Ende haben.“

Am Ende verteilte der Bundespräsident der katholischen Kirche eine Rüge. Der Missbrauchsskandal und dessen „schleppende Aufklärung haben viel Vertrauen beschädigt und zerstört“. Gleichwohl wolle er „all jene ermutigen, die sich tatkräftig für die Erneuerung der katholischen Kirche in Deutschland einsetzen“. Nicht nur er schaue mit „Neugier und Erwartung auf die Arbeit des Synodalen Wegs“.