Mit 17 hat Andreas Hildebrand seine Ausbildung zum Schneidergesellen am Staatstheater begonnen. Sieben Jahre später ist er – wieder in Stuttgart – für das Maßatelier bei Breuninger verantwortlich. Einer seiner handgenähten Anzüge kostet tausende Euro.

Stuttgart - Mit 17 hat Andreas Hildebrand seine Ausbildung zum Schneidergesellen am Staatstheater begonnen. Sieben Jahre später ist er – wieder in Stuttgart – für das Maßatelier bei Breuninger verantwortlich. Einer seiner handgenähten Anzüge kostet tausende Euro.

 

Der 24-Jährige stammt aus Rötenberg im Schwarzwald. Er trägt einen schmalen, grauen Zweireiher, eine akkurat gebundene Krawatte und ein hellblaues Hemd mit glänzenden Manschettenknöpfen. Seine Haare sind penibel frisiert. Am Eingang zum Maßatelier im zweiten Stock des Warenhauses steht eine Schneiderbüste mit einem halb fertigen Jackett. Andreas Hildebrand erwartet den Kunden, der den Auftrag erteilt hat, zu einer der drei Anproben.

2007 hat Hildebrand seine Ausbildung am Theater begonnen und im ersten Jahr 470 Euro im Monat verdient. „Das ist im Vergleich viel“, sagt er, „die meisten Lehrlinge verdienen weniger als die Hälfte.“ 190 Bewerber hatten es damals auf die vier Lehrstellen gegeben, berichtet Hildebrand, er war einer der wenigen Männer.

60 Stunden Handarbeit pro Maßanzug

Nach der Ausbildung in Stuttgart führte sein Weg nach Düsseldorf zu Heinz-Josef Radermacher. „Einer der besten Schneider im deutschsprachigen Raum“, erzählt Hildebrand. „Der Chef hat gesehen, dass ich gut mit Menschen kann und ich habe, mit einer Sondererlaubnis der Handwerkskammer, Lehrlinge ausgebildet.“

Etwa 60 Stunden Handarbeit stecken in einem Maßanzug. So kommt der stolze Grundpreis von rund 3500 Euro zustande. Nach oben gebe es kaum eine Grenze, sagt der Schneider. „In Düsseldorf habe ich eine Jacke für das Dreifache angefertigt.“ Der Unterschied liegt im Material. Hildebrand stellt eine Holzschatulle mit Stoffproben auf seinen Arbeitstisch. „Allein die ist sehr wertvoll“, sagt er. Die handtellergroßen, quadratischen Wollmuster stammen von Vikunjas, einer seltenen Art Lama, das in den südamerikanischen Anden lebt. Ein Meter dieses Stoffes von einer 1,40 Meter breiten Rolle kostet, so berichtet Hildebrand, zwischen 3000 und 6500 Euro.

Nach eineinhalb Jahren in Düsseldorf ging Hildebrand nach Hamburg und leitete das Atelier von Tom Reimer, dem Hausschneider der Hanseaten. „In Düsseldorf habe ich die klassische englische Schule kennengelernt“, sagt er, „in Hamburg das Spielerische aus Italien.“ Nach einem Jahr kam das Angebot aus Stuttgart. „Eigentlich wollte ich aus Hamburg nicht weggehen“, sagt der 24-Jährige. „Aber ich habe hier die Chance, etwas aufzubauen und zu gestalten.“ Breuninger ist das einzige Warenhaus in Europa mit eigener Maßschneiderei.

Die Kunden eines Maßschneiders sind – dem Preis geschuldet – Besserverdiener. Dazu gehörten Vorstände, die Chefs mittelständischer Unternehmen, Manager, Banker und Prominente, Hildebrand nennt aber keine Namen. Doch im Grunde gibt es nur zwei Typen, die einen Feinmaßanzug tragen. „Die einen wollen das Thema Mode beim Schneider lassen“, sagt Hildebrand, „die anderen sind echte Modekenner.“

Er sieht die Problemstellen

Hildebrand hat die Erfahrung gemacht, dass die Kunden auch deshalb gerne zu ihm kommen, weil er ein Mann ist: „Zwischen Schneider und Kunde besteht eine enge Beziehung“, sagt er. „Ich muss die Menschen anfassen, vermessen, sehe die Problemstellen.“ Denn: „Wenn Männer vor dem Spiegel stehen, nehmen sie eine preußische Haltung an – Bauch rein, Brust raus“, weiß er. Und der Bauch, der beim Abmessen nicht da ist, den kann der Schneider mit einem perfekt sitzenden Anzug nicht verstecken. Sich einkleiden zu lassen, sei Vertrauenssache, so Hildebrand. Der 24-Jährige spricht mit Leidenschaft über Mode, Anzüge, Hemden, Einstecktücher und Krawatten. „Ich will die Kunden komplett einkleiden, denn ein falscher Schuh kann beispielsweise die Wirkung des bestens Anzugs ruinieren.“

Gefragt nach der gängigsten Stilsünde, antwortet der Maßschneider: „Die Leute kaufen in der Regel zu große Kleidung.“ Die passende Hose dürfe an der Vorderseite eine Falte werfen und sich an der Ferse nicht wellen, erklärt er.