Der große Jazz-Pianist Keith Jarrett kann nach mehreren Schlaganfällen die linke Hand nicht mehr nutzen. Dem prominenten Musik-Youtuber Rick Beato hat Jarrett nun gestattet, die Welt an seinem Schicksal teilhaben zu lassen.

Der 2020 verstorbene Wolfgang Dauer erlitt ein Jahr vorher einen Schlaganfall und musste sich das Klavierspielen mühsam wieder „draufschaffen“ , wie er einmal sagte. Der langjährige Kollege Eberhard Weber konnte nach einem Schlaganfall nicht mehr Bass spielen und ist heute an den Rollstuhl gefesselt. Keith Jarrett (78), Pianist von Weltruf, hat vor fünf Jahren zwei Schlaganfälle überstanden und kann seither keine Konzerte mehr geben.

 

Diese Enthüllung schockierte ein weltweites Publikum und löste Trauer über das Ende einer glanzvollen Karriere aus. ECM, sein langjähriges Label, veröffentlichte Aufnahmen von Jarretts Konzert in Bordeaux. Im ländlichen Teil von New Jersey versucht der Pianist inzwischen, wieder zu Kräften zu kommen. Dieses glänzende Album nennt er heute seinen „Goldstandard“.

„Ich fühle mich nicht mehr als Pianist“, sagt Keith Jarrett

Jarrett glaubt an Gott, liest viel, zuletzt einen Roman von Paul Auster, und verweigert sich dem Internet. „Alles, was ich brauche, sind zwei Stühle und ein Gegenüber.“ Er geht mühsam am Stock, setzt sich inzwischen wieder an den Flügel, kann jedoch nur mit der rechten Hand spielen. Sein linker Unterarm liegt, umschlossen von einer Orthese, bewegungslos auf dem Oberschenkel. Auf sein starkes Ostinato und Picking mit der linken Hand muss er seit der Lähmung verzichten. Auch Jarretts Kraft hat nachgelassen. Als er kürzlich versuchte, einige bekannte Bebop-Stücke zu spielen, stellte er erschrocken fest, dass er sie vergessen hatte. „Ich fühle mich nicht mehr als Pianist. Das ist alles, was ich dazu sagen kann.“

Der Youtuber Rick Beato, selbst ein Musiker, hat im Haus von Keith Jarrett und seiner Frau Akiko ein langes Gespräch mit dem einstigen Wunderkind geführt. Jarretts Tante zufolge versuchte er als Dreijähriger, das Plätschern des nahe gelegenen Bachs in Klaviermusik zu verwandeln. Seine erste Improvisation, der so viele brillante, klangvolle, hypnotisierende folgen sollten. Das „Köln Concert“ von 1975, das meistverkaufte Solo-Piano-Album aller Zeiten, hat Menschen auf der ganzen Welt die Ohren geöffnet.

Der Meister lauscht seinem jungen Ich

Besonders anrührend sind die Minuten auf Youtube, in denen Keith Jarrett einer fantastischen, spannenden und wunderschönen Improvisation seines jungen Ichs lauscht. Der von Schlaganfällen und Fatigue-Syndrom Gezeichnete, der einst Miles Davis beeindruckt und Bachs Goldberg-Variationen so wunderbar interpretiert hat, verfolgt mit großer innerer Anteilnahme und Seitenblicken in die Kamera sein eigenes Spiel als junges Musikgenie. Das geht zu Herzen – und es fällt schwer, dabei keine Tränen in den Augen zu haben.