Kinder in Notsituationen Was Eltern über Erste Hilfe wissen müssen

Kommt es zum Atemstillstand und/oder zum Versagen der Herz-Kreislauf-Funktion, müssen sofort Erste-Hilfe-Maßnahmen eingeleitet werden. Foto: stock.adobe.com/pressmaster

Erste Hilfe am eigenen Kind – das trauen sich die wenigsten Eltern zu. Kinderärzte und Notfallmediziner geben Tipps, wie sich Familien vorab über typische Gefahrensituationen informieren und im Ernstfall medizinisch richtig reagieren können.

Der Dreijährige hat eben noch fröhlich am Planschbecken gesessen und eine Limonade getrunken. Jetzt brüllt der Junge vor Schmerz auf, japst nach Luft, hat Schluckbeschwerden. Die Eltern brauchen einen Moment, bis sie begreifen: Eine Wespe hat den Jungen in den Mund gestochen. Die Schleimhäute schwellen an. Das Kind ist in einer lebensbedrohlichen Lage – und braucht sofort Hilfe.

 

Viele Eltern haben nur wenige Kenntnisse über Erste Hilfe

Was soll ich tun? Diese Frage hören Mediziner des Rettungsdienstes von Eltern häufig, deren Kinder in eine Notfallsituation geraten sind. Viele sind nicht vorbereitet und haben nur wenig Kenntnisse über Erste Hilfe, bestätigt das Deutsche Rote Kreuz (DRK). „Erfahrungswerte besagen, dass es Eltern zwar als wichtig erachten, über die richtigen Maßnahmen bei Notfällen informiert zu sein“, sagt Bernd Böttiger, DRK-Bundesarzt und Vorstandsvorsitzender des Deutschen Rates für Wiederbelebung. Doch diesem Bedürfnis werde oft nur ungenügend nachgekommen – sei es aus Zeitgründen oder der Angst heraus, sich dann tatsächlich mit dem Ernstfall konfrontiert zu sehen.

Vielen ist nicht klar, dass die meisten Unfälle zuhause passieren

„Zudem entwickeln viele Eltern erst nach dem Eintreten einer Notfallsituation das Bedürfnis, besser vorbereitet zu sein“, sagt Böttiger, der an der Uniklinik Köln die Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin leitet. Gleichzeitig scheint es auch vielen Familien oft nicht richtig bewusst zu sein, was alles zu Hause passieren kann: „Wenn es um Unfallrisiken für Kinder geht, denken viele an Gefahren im Straßenverkehr“, bestätigt Christina Jaki vom Simulationszentrum Stups im Klinikum Stuttgart, in dem Notfälle mit sogenannten Patientensimulatoren trainiert werden.

Regelmäßig gibt es Kurse – doch die werden oft nicht angenommen

Doch das geschieht eher selten: Dem Statistischen Bundesamt zufolge liegt in diesem Bereich die Unfallquote von Kindern im Alter bis zu fünf Jahren bei sieben Prozent. Etwa 60 Prozent der Unfälle von Kindern passieren dagegen nicht auf der Straße, sondern zu Hause. „Typisch sind Stürze – etwa der Fall vom Wickeltisch oder von der Treppe“, so Christina Jaki. Auch Ertrinken, Verbrühungen und Vergiftungen sind häufige Notfallsituationen bei Kindern. Möglichkeiten für Eltern, sich darüber zu informieren, was in solchen Situationen das Richtige ist, gibt es inzwischen immer mehr: Regelmäßig führen Wohlfahrtsverbände wie das DRK Schulungen für Familien durch, die auch digital in gegliederten Einheiten angeboten werden. Auch gibt es immer mehr Angebote von freien Anbietern, die ihrerseits Online-Erste-Hilfe-Kurse speziell für Eltern durchführen.

Auch online können sich Eltern weiterbilden

Einer dieser Kurse wird seit 2019 von den Kinderärzten Snjezana Schütt und Olaf Conrad (erste-hilfe-rettet-leben.de) angeboten. „Wir haben im Praxisalltag und privaten Umfeld gemerkt: Viele wollen Hilfe leisten, wissen aber nicht, was im Notfall zu tun ist, oder haben Angst vor möglichen Fehlern“, sagt Conrad, der als Oberarzt in der Kindernotaufnahme gearbeitet hat und nun niedergelassener Kinderarzt in Wuppertal ist. „Dabei ist der einzige Fehler, den man im Notfall machen kann: nichts zu tun.“

Nur wenige Sekunden weggeschaut – schon treibt das Kind im Pool

Gleichzeitig weiß der zweifache Vater aus eigener Erfahrung, wie schnell Kinder in Gefahr geraten können und wie hilflos man sich in solchen Notsituationen fühlt: „Ich habe erlebt, wie mein Sohn in einem unbeobachteten Moment in einen Pool gestürzt und reglos im Wasser getrieben ist.“ Es gilt, diese lähmende Angst zu überwinden und schnell sowie besonnen zu handeln. „Dafür braucht es Übung“, so Conrad. „Man muss sich zuvor stets klarmachen, was in solchen Momenten zu tun ist.“

Darin sehen die beiden Kinderärzte auch den Vorteil ihres Online-Angebots: „Die Videos können immer wieder angesehen werden“, sagt Snjezana Schütt – etwa auch zusammen mit Betreuungspersonen der Kinder. „Das ist wichtig, um das gelernte Wissen zu festigen und im Notfall besser abrufen zu können.“ Zumal sich je nach Alter des Kindes die Unfallschwerpunkte auch verändern oder neue hinzukommen. „Ziel ist es, die Eltern umfassend zu wichtigen Themen zu informieren und sie in den ersten Jahren als virtueller medizinischer Ratgeber zu begleiten“, so Schütt.

Sinnvoll ist es, auf Notfallsituationen vorbereitet zu sein

Bescheid wissen, aber nicht übervorsichtig werden – das rät die Stuttgarter Ärztin Christina Jaki allen Eltern. „Es ist natürlich immer sinnvoll, sich online, bei Präsenzkursen oder mit Büchern auf Notfallsituationen im Kindesalter vorzubereiten.“ Wichtig wäre es, darauf zu achten, dass bei freien Anbietern in Kindernotfällen erfahrene Kinderärzte oder Rettungsfachkräfte die Kurse leiten und die Online-Informationen aus seriösen Quellen stammen. „Allerdings kann man Eltern dahingehend beruhigen, dass sich mit der nötigen Vorsorge und Umsicht viele Unfälle vermeiden lassen“, so Jaki.

Erst den Notruf absetzen

Im Fall des Kindes, dem eine Wespe in die Mundhöhle gestochen hat, rät der Kinderarzt Conrad: sofort den Notruf 112 informieren und dem Kind ein Eis oder einen Eiswürfel zum Lutschen geben, um der Schwellung entgegenzuwirken. Zusätzlich können kalte Halswickel angebracht werden. „Kommt es zum Atemstillstand und/oder einem Versagen der Herz-Kreislauf-Funktion – etwa weil eine Insektengiftallergie vorliegt –, müssen sofort Erste-Hilfe-Maßnahmen eingeleitet und bis zum Eintreffen des Notarztes fortgeführt werden“, sagt Conrad.

So funktioniert Erste Hilfe

Prüfen
Zur Prüfung, ob der oder die Bewusstlosen einen Herz-Kreislauf-Stillstand hat, wird die Person angesprochen und geschaut, ob die Atmung normal ist.

Rufen
Ist dies nicht der Fall, wird der Notruf 112 abgesetzt.

Drücken
Den Betroffenen in Rückenlage bringen und den Druckpunkt für die Herzdruckmassage bestimmen. Dieser liegt in der Mitte zwischen beiden Brustwarzen. Mit beiden Händen übereinander die Arme ausstrecken, mit den Schultern über dem Betroffenen abwechselnd drücken und entlasten. Bei Erwachsenen und Kindern sollte man etwa ein Drittel des Brustkorbdurchmessers tief nach unten drücken. Die Frequenz sollte 100- bis 120-mal pro Minute betragen (im Takt des Bee-Gees-Hits „Stayin’ Alive“). Bei Kindern und Säuglingen sollte man wenn möglich mit der Beatmung beginnen.

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