Reportage: Robin Szuttor (szu)


Inzwischen weiß sie, was ein Tumor ist. Sie weiß, dass ihr Vater damals nicht aus dem Krankenhaus entlassen wurde, weil er wieder gesund war. Er wollte zu Hause sterben. Und heute, nach Tausenden Stunden des Grübelns, ist sie weiter als die meisten Teenies in ihrem Alter.

"Der Tod eines Elternteils bedeutet immer ein Stück verlorene Kindheit", sagt Gabriele Schmidt-Klering. Oft heiße es von außen: "Ihr müsst jetzt groß sein." Oft setzten sich Kinder selbst unter Druck, funktionieren zu müssen. Aus Sorge, die Erwachsenen, die selbst ins Bodenlose fallen, nicht noch mehr zu belasten. In der Trauergruppe bekommen die Kinder Anteilnahme und Distanz. "Ich bin nicht hilflos wie die Eltern, ich muss nicht mitweinen", sagt Schmidt-Klering. "Das ist eine ehrliche Sache und gibt Sicherheit."

Nicht nur die Familien, selbst Fachkräfte seien überfordert. Die 52-jährige Erzieherin erinnert sich an einen Fall aus ihrer Anfangszeit im Kindergarten. Ein Vater hatte sich erschossen. "Wir im Kollegium verdrängten es komplett, sprachen das Kind nicht ein einziges Mal darauf an. Die Leiterin ging auf die Beerdigung - fertig. Auch auf den Elternabenden war der Suizid tabu." Im Grunde habe sich seitdem nichts geändert. "Bei der Erzieherinnen- oder Lehrerausbildung spielt der Umgang mit Tod immer noch kaum eine Rolle."

Heute ist das Sterben aus dem Lebensalltag verschwunden


Gabriele Schmidt-Klering beschäftigte sich nach einem Zeitungsartikel über trauernde Kinder immer intensiver mit dem Thema - und machte es zu ihrem. Sie hospitierte in der Stuttgarter Kindertrauergruppe, stellte schließlich in Schorndorf eine eigene auf die Beine. Die leitet sie nun neben ihrem eigentlichen Job als Betreuerin in einer Ganztagsschule.

"Früher starb man daheim. Die Kinder waren dabei, banden Kränze, erlebten den Tod hautnah", sagt sie. Heute ist das Sterben nahezu aus dem Lebensalltag verschwunden. Für Kinder umso mehr, als man sie gern vor allem Schmerzlichen bewahrt und ihnen jede Hürde schon früh aus dem Weg räumt. "Die Erwachsenen schaffen ihnen einen Schonraum, weil sie sich selbst dem Tod nicht stellen wollen." Sie will Mut geben, nicht schützen.

Gabriele Schmidt-Klering hält Seminare vor Erzieherinnen, Lehrern, Kinderkrankenschwestern. Sie sprach nach dem Amoklauf bei Elternabenden in Winnender Kindergärten. Und traf meist auf die alte Haltung. Lieber nicht darüber reden, lieber den Kindern ein Stück heile Welt lassen. "Das ist einerseits verständlich, aber die Kinder verstehen nicht, sie fühlen sich mit ihren Fragen alleingelassen. Denn selbst die Kleinen haben irgendwas mitgekriegt."