Kleine Mädchen lieben Filly-Pferde. Die Marke hat den deutschen Spielzeugmarkt im Galopp erobert. Sogar der Hersteller ist überrascht vom Erfolg.  

Nachrichtenzentrale: Nadia Köhler (nl)

Stuttgart - Mittwoch ist Mitbringtag. Angebertag wäre der passendere Begriff: Jedes Kind darf ein Spielzeug im Kindergarten vorführen. Die Kinder lieben die Mittwoche. Die Eltern hassen die Mittwoche. Tränen am Morgen: Was soll ich nur mitnehmen? Tränen beim Ankommen: Warum schenkt mir nie jemand so eine rosa Puppen-Vespa? Tränen am Abend: Hundi in der Kita vergessen!

 

Seit einigen Wochen ist alles anders. Seit einigen Wochen ist Mittwoch Filly-Tag. Am Morgen werden Gaia, Luna und Romeo ins Körbchen gepackt. Beim Ankommen ruft irgendein Mitglied der ständig wachsenden Filly-Sekte sofort: "Schau mal, ich hab jetzt Iris!" Und am Abend, kurz vor dem Einschlafen, ein letzter sehnsuchtsvoller Seufzer: Ach, ich wünsche mir so sehr Prinzessin Sparkle! Geheult wird mittwochs nur noch, wenn einer der bösen Jungs im Kindergarten ein Filly im Klo runtergespült hat. Jungs hassen Fillys.

Stutfohlen

Der Name Filly bedeutet auf Englisch Stutfohlen. Aktuell haben diese kleinen, flauschigen, in Rosatönen gehaltenen Figuren mit den großen Augen und der aufwendig frisierten Mähne allesamt ein Einhorn über der Nase. Auf dem Kopf tragen sie eine Krone, in deren Mitte ein Edelstein blitzt. Die Einhornherde lebt im regenbogenfarbenen Königreich Crystalia und wird von der sanften Prinzessin Sparkle regiert, die einmal im Monat in ihrem Turm zu einer Tanzparty lädt. Von Beruf sind die Fillys Modeberaterin, Dekorateurin oder Feuerwerk-Experte. Und wenn sie nicht miteinander verwandt sind, dann sind sie ineinander verliebt.

Was in der Theorie fürchterlich banal klingt, ist in der Praxis extrem erfolgreich: Mehr als acht Millionen Fillys hat der Spielwarenhersteller Simba Toys allein in diesem Jahr verkauft. Insgesamt liegen und stehen inzwischen mehr als 20 Millionen der kleinen Filly-Figuren in deutschen Kinderzimmern herum - und das, obwohl es die Marke erst seit 2007 gibt. "Der enorme Erfolg der Fillys hat uns selbst überrascht", sagt Jürgen Deschner, der Senior-Marketingmanager bei Simba Toys. Im vergangenen Jahr wurden die eigenen Planungen derart übertroffen, dass das eigens für das Weihnachtsgeschäft auf den Markt gebrachte Filly-Traumschloss schnell ausverkauft war - 100.000 Stück weg. "So etwas hat esschon lange nicht mehr gegeben", sagt der Marktforscher Werner Lenzner von Eurotoys.

Dauerbrenner unter den Mädchen-Kultfiguren

Barbie, Lillifee, Hello Kitty und nun die Fillys: tatsächlich erfreuen sich die kleinen Pferde bei Vier- bis Siebenjährigen einer ähnlichen Beliebtheit wie die Dauerbrenner unter den Mädchen-Kultfiguren. Händler berichten von einem prozentual zweistelligen Wachstum beim Verkauf der Filly-Artikel. Die Fillys, da sind sich die Experten einig, sind ein Lehrstück in Sachen Markteroberung. "Die Fillys kamen im richtigen Moment mit einer gut gemachten Ästhetik", sagt Steffen Kahnt, der stellvertretende Geschäftsführer des Bundesverbandes des Spielwaren-Einzelhandels (BVS). Andere beliebte Mädchen- Sammelthemen - wie etwa die Diddlmäuse - waren 2007 schon sehr lange auf dem Markt und daher nicht mehr topaktuell. Da kamen die Pferdchen, die laut Kahnt "nicht zuletzt mit ihrem Aussehen genau den Geschmack der Rosafraktion getroffen haben", offenbar genau richtig. "Im Pferde und Einhornbereich ist es bisher noch niemanden gelungen, einen soüberraschend erfolgreichen Charakter zu schaffen", sagt Steffen Kahnt. An der Optik feilen die Designer von Simba Toys bis heute: Die Augen wurden stetig vergrößert und der Rosa-Glitzereffekt von Kollektion zu Kollektion verstärkt. Die Krönung war der echte Swarovski-Stein, den jedes Einhorn derzeit mitbekommt.

Lange Zeit konzentrierte sich das Unternehmen ausschließlich auf die jeweils aktuelle Sammellinie: 21 Charaktere und ein Königinnen- oder Prinzessinnen-Pferd werden nach dem Überraschungsei-Prinzip in sogenannten Blind-Packs verkauft. Jahr für Jahr wird die neue Kollektion durch ein neues, girlietaugliches Accessoire aufgepeppt: goldene Kronen (Filly-Princess), fluoreszierende Flügel (Filly-Fairy), farbige Einhörner mit passendem Glitzerstein (Filly-Unicorn).

Zubehör gab es erst später

Erst im dritten Jahr kam dann auch Zubehör auf den Markt: Kutschen, Ställe, Häuser. Auch Puzzle, Spiele und Adventskalender fanden begeisterte Abnehmer. Inzwischen gibt es auch eine Filly-Zeitschrift, Partyutensilien und - gerade heiß begehrt - Schultüten. "Wenn man das Ganze jetzt nicht überdreht, haben die Fillys das Zeug zum Klassiker", sagt Steffen Kahnt. Und auch Jürgen Deschner weiß, dass sein Unternehmen trotz allen Erfolgs nicht die Zielgruppe aus den Augen verlieren darf: "Ein ferngesteuertes Auto sollten wir uns verkneifen." Und bei einem Sammelthema müsse man immer Zufriedenheit schaffen. "Gift wäre es, die Zahl der Charaktere auf 100 zu erhöhen und fünf Euro pro Figur zu verlangen."

Tatsächlich ist der Filly-Preis eines der stärksten Verkaufsargumente - knapp unter zwei Euro kostet eine Glitzertüte. "Zwei Euro, und schon gibt das Kind Ruhe", sagt der Marktforscher Werner Lenzner. Steffen Kahnt ist sogar davon überzeugt, dass vor allem die Mütter großen Anteil am Filly-Erfolg haben: "Die finden die Tiere auch ganz süß, auch wenn sie das nicht so offen zugeben würden." Ohne die Mütter, meint Kahnt, hätten sich die Fillys gar nicht so lange halten können. Schließlich besitze die junge Zielgruppe meist noch keine relevanten Summen an Taschengeld.

Extrem zickig im Kaufverhalten

Die Mütter um den Finger gewickelt zu haben, das ist ein weiterer erstaunlicher Erfolg der Filly-Pferdchen. Deutsche Eltern seien nämlich in ihrem Kaufverhalten extrem zickig, sagt der Marktforscher Werner Lenzner. "In Deutschland sollen die Kinder beim Spiel lernen. Darum muss alles pädagogisch wertvoll sein."

Dieses Gütesiegel werden die Fillys jedoch nie verpasst bekommen. Die Spielzeugberatung Spiel Gut steht den Glitzerpferden sehr kritisch gegenüber. "Vom Grundsatzthema her sind die Fillys nicht abzulehen. Mag ja sein, dass sie zum Rollenspiel anregen. Aber die kitschige Ausführung ist der Grund, warum wir die Figuren nie zum Testen anfordern werden", sagt Ingetraud Palm-Walter von Spiel Gut.

Topplatzierungen auf Wunschzetteln

Trotz der ablehnenden Haltung der Pädagogen und der verhaltenen Kundenrezensionen im Internet: die Filly-Produkte werden wohl erneut Topplatzierungen auf den Weihnachtswunschzetteln einnehmen. In wenigen Wochen startet Simba Toys mit Prinzessin Sparkles Turm ins Weihnachtsgeschäft: 65 Zentimeter hoch, Fahrstuhl, Licht- und Soundeffekte sowie Einhornprinzessin inklusive.

Der Mittwoch im Kindergarten könnte also doch bald wieder zum Albtraum werden - zumindest für die Erzieherinnen.

Die Deutschen sammeln gern

Früher In Deutschland sind Sammelthemen traditionell sehr beliebt – anders als in anderen europäischen Ländern. Die Schlümpfe, die Happy Hippos aus dem Überraschungsei oder die Panini-Bilder: Sammeln gehört in Deutschland zum Spielen dazu.

Heute Schleich-Tiere sind bis heute Sammelklassiker. Viele Sammelthemen entstehen heutzutage aber aus Comics oder Mangas. So ersetzen bei den Jungs inzwischen oft Pokémon- oder Yu-Gi-Oh- Karten die klassischen Brettspiele. Auch die Beyblade-Kreisel, mit denen die Kinder symbolische Kämpfe austragen, erfreuen sich unter Jungs enormer Beliebtheit.

Konkurrenz Auch die Spielzeuggiganten Lego und Playmobil setzen derzeit wieder verstärkt auf den Sammelthemenmarkt. Genau wie Simba Dickie verkaufen sie kleine Figuren in sogenannten Blind-Packs. Zauberer, Gladiatoren, Eskimos, Prinzessinnen oder Fitnesstrainerinnen verstecken sich in den Tütchen. Bei Lego heißen sie Minifigures und bei Playmobil Figures. Jungs kaufen blaue Päckchen und Mädchen rosa Tütchen.