Eine Kinoserie, die in der neuesten Folge auch ohne ihren Protagonisten gut auskommt: das funktioniert. Jetzt im Kino: „Das Bourne Vermächtnis“ – ohne Matt Damon.

Stuttgart - Es ist oft gesagt worden, dass die heutigen Blockbuster- und Event-Movies die Filmgeschichte zu ihren Anfängen zurückdrehe: zum Kino der Attraktionen aus der Zeit, als die Bilder laufen lernten. Für die „Bourne“-Filme stimmt das in einem positiven Sinn, nicht nur weil dort auch Matt Damon als verfolgter Agent das Laufen lernte. Nichts lässt einen Filmemacher die Möglichkeiten des Mediums besser ausspielen als Verfolgungsjagden. Und hier gab es zuletzt die besten. Schließlich waren die Geschichten, die diese Jagden motivierten, genauso rastlos.

 

Wie Jason Bourne selbst brauchten sie sich nicht umzudrehen und verstrickten sich nicht allzu sehr in logischen Fesseln. Darin lag eine herrliche Freiheit. Die Geschichten gingen immer weiter wie jene endlosen Fortsetzungsfilme, die „Serials“ – in der klassischen B-Film-Ära wurden durch sie vor allem kleine Jungs zu Kinosüchtigen erzogen.

Wie es sich für Filmserien beinahe gehört, steigt der Hauptdarsteller irgendwann aus. Wer vorher nichts weiß über „Das Bourne Vermächtnis“, mag den ganzen Film auf Matt Damon warten, der immer wieder auf Steckbriefen und Fahndungsfotos auftaucht und angeblich hier und da gesehen wurde. Sicher zahlt man Topstars auch dafür inzwischen hohe Gagen. So haben die Produzenten noch ein Hintertürchen, falls das Publikum ein Wiedersehen wünscht. Aber mit dem Ersatz sind wir erst einmal zufrieden. Doch nach dem Ausstieg des Regisseurs Paul Greengrass aus der Erfolgsserie sah Matt Damon wenig Motivation, dabeizubleiben.

Manipulationen an Menschen

Jeremy Renner, schon in „Tödliches Kommando“ nicht gerade ein Hasenfuß, spielt Damons Pendant namens Aaron Cross. Er gehört zum Agentenpool desselben geheimen Regierungsprogramms, das mit genetischen Manipulationen ihr Menschenmaterial zu besonderen Höchstleistungen treibt. Der abtrünnige Bourne jedoch lässt der Geheimdienstspitze nun das gesamte Projekt als untragbares Sicherheitsrisiko erscheinen. Zeitlich ist der Film – eine interessante Variante zwischen „Sequel“ und „Prequel“ – parallel zum „Bourne Ultimatum“ angesiedelt.

Man blendet also auf den Nebenschauplatz des Vorgängerfilms, wo die ganze Truppe ausgelöscht werden soll: dort werden selbst hochverdienten Agenten kleine gelbe Pillen verabreicht, die sie mit einem blutigen Auge ins Jenseits befördern. In der New Yorker Schaltzentrale sind es alte Männer, die ihre jungen Kollegen reihenweise in den Tod schicken, gespielt von Agentenfilm-Legenden wie Scott Glenn, Stacy Keach und Albert Finney. Sie sind die Schuldigen mit den sauberen Händen, denn für die tödlichen Pillen sind Chemiker und Mediziner verantwortlich – wie auch für jene, die für die Leistungssteigerung verantwortlich sind.

Die Ärztin Marta Shearing (Rachel Weisz) allerdings hat den Eid des Hippokrates noch nicht vergessen. Gemeinsam mit Cross reist sie rund um den Globus, um den Drahtziehern zuvorzukommen. In einer Fabrik in Manila werden sie fündig. Dort nimmt eine der drei großen Verfolgungsjagden des Films auf einem Motorrad ihren Anfang. Die beiden anderen zeigen Cross als unermüdlichen Stuntfahrer und Wandkletterer. Im Vergleich zu früheren Bourne-Filmen nehmen solche Aktionen mehr Raum ein, sie verselbstständigen sich fast vollkommen. Diese für den Zuschauer von jeder Denkarbeit unbelastete Zeit kann man bedauern oder begrüßen als reines Kino, als ein rauschhaftes Vergnügen. Es sind nicht einmal Pillen aus philippinischen Geheimlabors für den Trip vonnöten.

Möglichkeiten einer frechen Idee

Kunst und Augenwischerei sind bekanntlich enge Nachbarn. Auch wenn es eigentlich eine Frechheit ist, noch einmal zu verfilmen, was es doch gerade erst gab, nur ohne den beliebten Hauptdarsteller, steckt darin ein nicht kleiner Funken Genialität. Welche Möglichkeiten liegen in dieser frechen Idee für das Kino? Man könnte „Casablanca“ noch einmal drehen, zur selben Spielzeit, aber mit einem anderen Agenten in einem anderen Café, das zwar nicht mehr Humphrey Bogart gehören würde, aber vielleicht mit einem ähnlich guten Pianisten aufwarten könnte.

„Das Bourne Vermächtnis“ verhält sich in Tony Gilroys kongenialer Regie zu seinem Vorgängerfilm wie ein genmanipulierter Klon. Dabei haben die Bilder sogar noch etwas schneller zu laufen gelernt.