1966 waren Anouk Aimee und Jean-Louis Trintingant „Ein Mann und eine Frau“ im Film des Regisseurs Claude Lelouch. Nun spielen sie zum dritten Mal diese Rollen, sie 88, er 89 – und erzählen von großer, nie erloschener Liebe.

Stuttgart - Der spielfilmischen Langzeitbeobachtung einer großen Liebe Fortsetzungen hinzuzufügen hat seine Tücken. Der Zauber des Anfangs ist womöglich verflogen, und die Verhältnisse haben sich geändert. So war es in Richard Linklaters „Before Midnight“ (2013), der dritten Begegnung von Julie Delpy und Ethan Hawke nach „Before Sunrise“ (1995) und „Before Sunset“ (2004): Die beiden einander jahrzehntelang Umkreisenden verloren in der Midlife-Crisis den amourösen Faden.

 

Der Prototyp einer solchen Erzählung ist „Ein Mann und eine Frau“ des französischen Regisseurs Claude Lelouch (82). Wunderbar melancholisch spielt die junge Anouk Aimée darin das Scriptgirl Anne. Mutig wirft sie ihr Herz in den Ring, um die Liebe des hübschen Rennfahrers und Stuntmans Jean-Louis (Jean-Louis Trintignant) zu erringen. Er ist von ihrer Geste so beeindruckt, dass er ins Auto steigt und ihr entgegenfährt, so schnell er kann.

Eine Erzählung weit über die Liebe zweier Menschen hinaus

Der Film gilt als Klassiker der Nouvelle Vague, Claude Lelouch bekam dafür 1966 die Goldene Palme von Cannes und 1967 zwei Oscars, den fürs beste Original-Drehbuch sowie den Auslands-Oscar. Und während bei ihm der zweite Teil von 1986 eher belanglos geriet, schließt er den Kreis nun im dritten Teil mit einer Macht, die weit über die Liebe zweier Menschen hinausreicht.

Jean-Louis’ Sohn sucht Anne auf, weil sein in die Demenz abgleitender Vater in der Seniorenresidenz immer wieder von ihr spricht. Obwohl die große Liebe letztlich unerfüllt blieb und sie einander Jahrzehnte nicht gesehen haben, scheint die Erinnerung an diese Frau die wichtigste seines Lebens zu sein. Anne ist zunächst zurückhaltend, denn Jean-Louis hat sie einst sehr verletzt – doch dann ringt sie sich durch. Und gleich die erste Begegnung der inzwischen 88-jährigen Anouk Aimée mit dem inzwischen 89-jährigen Jean-Louis Trintignant atmet eine unerhörte Energie. In ihren Dialogen und bei kleinen Ausflügen geraten sie in eine Art Rausch, Motive aus Vergangenheit und Gegenwart mischen sich mit Traumbildern.

Liebevolle, neugierige Blicke

Aimées liebevolle, neugierige Blicke gelten offenkundig nicht nur der Figur, die Trintignant verkörpert, sondern auch dem Schauspieler selbst; und wie seine Figur zu neuem, altem Leben erwacht, sobald er ihre Anwesenheit spürt, gilt nicht nur ihrer Rolle, sondern auch ihr selbst. Da begegnen sich Ikonen des französischen Kinos, die tief eintauchen in Erinnerungen, die auch ihre ganz persönlichen sind. Aimée hat nichts von ihrer tiefgründigen Ausstrahlung verloren, und unter seinem verwitterten Äußeren bleibt Trintignant derselbe Charmeur und Verführer, der er einst war.

Lelouch nutzt viele filmische Momente von 1966, die sich zusammenfügen zu einer stimmigen Hommage an die beiden großen Schauspieler, die der Regisseur damals sehr spontan und improvisiert agieren ließ – „ich wollte einen Mann und eine Frau filmen, keinen Schauspieler und keine Schauspielerin“, sagt er heute. Doch die Montage weist weit hinaus über dieses Traumpaar des französischen Kinos. Lelouch geht es auch um das Medium selbst, um die Kunst bewegter Bilder, die ihre Wirkungsmacht erst auf großer Leinwand voll entfalten. Jede Szene aus „Ein Mann und ein Frau“, die Außenaufnahmen in Farbe, die Innenaufnahmen aus Kostengründen in Schwarz-Weiß, erinnern an einen rebellischen Künstlergeist und einen Gestaltungswillen, der heute nur noch in Nischen zu finden ist. Wie visuell und narrativ verarmt wirken dagegen die Standards des mediokren formatierten Mainstreamfilms, der einen gehörigen Teil dazu beiträgt, dass das Kino Zuschauer verliert.

Piano, Streicher, Akkordeon

Schließlich ist dieses Werk, dessen Titel einem Zitat von Victor Hugo entstammt, auch eines über Frankreich. Lelouch zeigt noch einmal das Land der Sehnsucht, das bis heute in vielen Köpfen weiterlebt, obwohl es in Zeiten globalisierter Vereinheitlichung gar nicht mehr so leicht zu finden ist. Wenn die junge Aimée und der junge Trintignant mit ihren Filmkindern über den Strand von Deauville flanieren, wird sehr deutlich, wie stark das französische Kino einst das Frankreich-Bild in der Welt geprägt hat. Auch das alte Paris, das Jean-Louis am frühen Morgen mit Vollgas durchquert, zeigt Lelouch noch einmal ausgiebig. Und natürlich fährt Anne, dieses treue Seelchen, nach wie vor ihre Ente.

Ganze Wolken von guter alter Zeit schieben sich da durch den Kinosaal. Lelouch badet in Nostalgie, während er den Untergang einer Epoche betrauert, die mit der Generation seiner Hauptdarsteller zu verschwinden droht. Dabei gelingt es ihm auf wundersame Weise, nicht in den Kitsch abzurutschen. Das liegt daran, dass der ganze Film den Geschmack und den Stil der 60er Jahre atmet, bis hin zum Soundtrack. Der Komponist Francis Lai, der schon 1966 die Musik lieferte, schrieb zwei letzte Chansons, bevor er 2018 starb – beide für Lelouchs Film. „Les plus belles années d’une vie“ ist ein dramatisches Stück Wehmut, das Lai genau so damals hätte schreiben können: Nicole Croisillier (83), auch sie damals schon dabei, und der Arrangeur Calogero (49) säuseln, schmettern, pfeifen im Duett zu einem leidenden Piano, üppigem Streicherschmelz und einem einsamen Akkordeon. Französischer wird’s nicht, frankophile Romantiker werden den Film lieben.

„Sie wollten die letzte Frau in meinem Leben sein, das macht einem schon Angst“, sagt Jean-Louis entschuldigend zu seiner Anne. Später dann fragt der dem prallen Leben zugewandte Mann, der im Körper des Seniors nach wie vor wohnt, mit schelmischem Lächeln: „Wollen Sie mit mir ausbrechen?“ Da steht längst der Verdacht im Raum, dass die Demenz nur vorgetäuscht sein könnte als Schutzschild gegen die ungeliebte Gegenwart.

Die schönsten Momente eines Lebens. Frankreich 2019. Regie: Claude Lelouch. Mit Anouk Aimée, Jean-Louis Trintignant. 90 Minuten. Atelier am Bollwerk.