Der Spinnenmann reist auf Klassenfahrt nach Venedig, Paris und Prag. Unterwegs findet er einen neuen Mentor, mit dem er natürlich die Welt rettet – vor Bösewichten, die die Realität verfälschen.
Stuttgart - Der Brite Tom Holland, 23, hat dem Superhelden Spider-Man in „Spider-Man: Homecoming“ 2016 eine überraschend frische Wiedergeburt beschert. Nach Tobey Maguire und Alex Garland war Holland der Dritte, der ins Spinnenmannkostüm schlüpfte, und er strahlt eine jugendliche Unbekümmertheit aus, die einen produktiven Kontrast zum lästigen Verantwortungsgefüge eines heranwachsenden Superhelden bildet. Sein Peter Parker ist keine alte Seele in einem jungen Körper, sondern ein Vollblut-Teenager, der den Spaßfaktor seiner übernatürlichen Fähigkeiten voll auskostete.
Inzwischen durfte dieser Peter Parker in zwei apokalyptischen „Avengers“-Folgen Erfahrungen sammeln und hat dabei nichts von seinem jugendlichen Charme eingebüßt. Mit seiner Work-Life-Balance tut er sich aber immer noch schwer wegen der Doppelbelastung als Schüler und Superheld. Auf Klassenfahrt nach Europa möchte er endlich der Mitschülerin MJ (Zendaya) seine Zuneigung gestehen, am besten auf dem Eiffelturm mit einer venezianischen Halskette. Natürlich wird daraus nichts, denn Superhelden haben keinen Urlaubsanspruch. Ein riesiges Wassermonster tobt in Venedig und zerlegt die dekorative Lagunenstadt. Ein Kollege in Feuergestalt, der versierte Mysterio (Jake Gyllenhall) erwartet Peters Schulklasse in Prag. Er ist aus einer anderen Dimension zur Weltenrettung angereist und wird zum väterlichen Freund des jugendlichen Helden, der immer noch unter dem Verlust seines Mentors Tony Stark alias Iron-Man in „Avengers: Endgame“ leidet.
Der Schüler und Superheld leidet unter der Dopppelbelastung
Und gerade, wenn man sich fragt, ob das nun noch eine Stunde so weitergeht mit der rituellen Weltenretterei, bietet der Film eine gelungene Plotwendung, die die filmische Wirklichkeit gründlich auf den Kopf stellt. Was als nette Mischung aus Highschool-Komödie und Superhelden-Film begann, verwandelt sich nun in ein Szenario, in dem echte und virtuelle Realitäten gezielt ineinanderfließen und die Manipulation von Wirklichkeitswahrnehmungen zum Thema gemacht wird. Wie schon im Vorgängerfilm inszeniert der Regisseur Jon Watts flüssig. Er setzt CGI-Effekte mit lässiger Selbstverständlichkeit ein, peppt seinen Film dadurch auf und unterminiert dabei jene martialische Steifbeinigkeit, die dem Superhelden-Genre allzu oft anhaftet.
Mit den Mitteln der der Comic-Fantasy-Vision verweist „Spider-Man: Far from Home“ auf eine durchaus aktuelle Problematik: In einer Zeit, in der die Macht der Narrative sehr viel größer ist als die Auswirkung des tatsächlichen Geschehens, ist es nur ein kleiner Schritt von Fake-News zur Fake- Reality. Das eigentliche Ziel des Bösewichts ist die Beherrschung der Wahrheit, was in der Ära digitaler Desinformationskampagnen nur als logische Weiterentwicklung aktueller Tendenzen erscheint. Dabei wird die technisch hergestellte Illusion zum Mittel der Kriegsführung, und die schwerste Aufgabe des jungen Helden besteht darin, diese von der Realität zu trennen. Unversehens wird Peter Parker zum Ritter der Wahrheit im postfaktischen Zeitalter. Diese Denkansätze webt Watts vage und unaufdringlich ins Franchise-Konzept ein, ohne die Unterhaltungsoberfläche aus Teenager-Romantik und Superhelden-Action zu beschädigen.
Auch „Spider-Man: Far from Home“ fasst seine jugendliche Zielgruppe fest ins Auge, bewahrt sich seinen frischen Inszenierungsstil und setzt sich deutlich von technisch überfrachteten Konkurrenzwerken des Genres ab.