Die Wicherngemeinde im Cannstatter Stadtteil Espan feiert ihr 75-jähriges Bestehen mit vielen besonderen Aktionen. Beim Sommerfest und im Gemeindeleben ist dem Pfarrer Olaf Creß wichtig, Tradition und Moderne zu verbinden.

Bad Cannstatt - Eine Gemeinde mit eigenem Pfarrer, aber ohne eigenes Gebäude. So hätten sich wohl die ersten Mitglieder der Wicherngemeinde beschrieben, hätte man sie vor rund 80 Jahren danach gefragt. Der fünfte Seelsorgebezirk der Lutherkirche, der zu dieser Zeit noch keinen eigenen Namen hatte, führte schon damals ein eigenes Gemeindeleben: In einem Saal mit Bühne im Wichernhaus wurden Gottesdienste gefeiert und Vorträge gehalten, nur Trauungen, Konfirmationen und Taufen waren noch in der Lutherkirche. Und die namen- und heimatlose Gemeinschaft wuchs ebenso rasant wie die Bebauung des östlichen Teils Bad Cannstatts. 1936 setzte sich deshalb der Oberkirchenrat von Bad Cannstatt dafür ein, eigene Räumlichkeiten für die Seelsorgeeinheit zu schaffen. Angesichts der Tatsache, dass die Nationalsozialisten zu dieser Zeit bereits in alle Bereiche des öffentlichen Lebens eingriffen, sei es fast ein Wunder, dass im April des Jahres 1937 tatsächlich der Grundstein für die Wichernkirche gelegt und die Gemeinde gegründet wurde, sagt der heutige Pfarrer Olaf Creß.

 

Eine unkonventionelle Gemeinde

Die Entstehungsgeschichte ist aber auch symptomatisch für die Gemeinde im Cannstatter Stadtteil Espan. „Wir sind eine unkonventionelle Gemeinde“, sagt Creß. Die heterogene und multikulturelle Bevölkerung im Einzugsgebiet spiegele sich im Programm wider: Neben traditionellen Gottesdiensten gibt es etwa einen Gospelchor, zahlreiche Gemeindefeste und Konzerte. Das Gemeindehaus, die eigene Kindertagesstätte und der Kirchenraum sind unter einem Dach versammelt und lassen sich für die verschiedenen Aktivitäten flexibel einsetzen. „Gemeindesaal und Kirchenraum sind durch eine Schiebetür getrennt und können auch zu einem Saal geöffnet werden“, sagt Creß. Bei der offiziellen Jubiläumsfeier im März wurde zum Beispiel zunächst ein Gottesdienst gefeiert – und später die Schiebetür geöffnet und im ganzen Saal getanzt und gespeist.

Das lockt auch viele Menschen an, die sonst kaum einen Bezug zur Kirche haben: Bei Festen und in einzelnen Projekten engagierten sich häufig auch Bürgerinnen und Bürger aus dem Stadtteil, die eigentlich keine enge Bindung an die Kirche haben, erzählt Creß. Wenn sich daraus ein engerer Kontakt zur Kirche ergebe, freue er sich natürlich. Es sei aber kein Muss und nicht die erste Intention: „Wir wollen viele Facetten haben, um jedem eine Möglichkeit zum Andocken zu bieten.“ Wer einfach Halt und Geborgenheit suche sei ebenso willkommen wie derjenige, der am liebsten nur musizieren wolle.

Sommerfest am Samstag

Im musikalischen Bereich, aber auch bei Gottesdiensten und Veranstaltungen kooperiert die Wicherngemeinde mit ihren Nachbarn, der Andreä-, der Stephanus-und Sommerraingemeinde. Sich im Stadtteil zu vernetzen ist Olaf Creß wichtig. So engagiert sich die Wicherngemeinde auch in der Aktionsgemeinschaft Espan. Viele der Kooperationspartner beteiligen sich auch am Jubiläums-Sommerfest „75 Meter Wichern“. Dafür werden 75 Meter der Theodor-Veiel-Straße gesperrt und stattdessen wird eine lange Tafel aufgebaut. An mehr als 20 Ständen gibt es Kinderprogramm, Vorführungen und Musik. Auch beim Sommerfest möchte die Gemeinde den Spagat zwischen Tradition und Moderne schaffen: So gibt es entlang der Festtafel Informationen über die 75-jährige Geschichte der Wichernkirche, und im alten Werkstatthaus wird eine Powerpoint-Präsentation zu diesem Thema gezeigt.

Jubiläumsprogramm Das Sommerfest „75 Meter Wichern“ ist am Samstag, 14. Juli, von 15 bis 20 Uhr. Zum Jubiläum gibt es in den Sommerferien auch eine Predigtreihe, in den Herbstferien eine Jubiläums-Kindermusicalwoche und einen Abschlussgottesdienst im Dezember.